Warum werden Tiroler als „falsche Italiener“ bezeichnet?

4 Antworten

Ein alternativer, etwas kabarettistischer Antwortversuch von einem Deutschen, der seit fünf Jahren in Tirol lebt und arbeitet:

Klar, einerseits haben's meine Vorgänger bereits ausführlich beschrieben. Die Geschichte Tirols hat aus einigen Tirolerinnen und Tirolern (und vor allem dem namensgebenden Ort / Adelssitz) Italiener gemacht, obwohl sie sich vielleicht gar nicht so recht mit Italien identifizieren wollen und können. Also vielleicht "falsche Italiener".

Andererseits - und hier wird's ein bisschen humoristisch, daher werft mir bitte nicht vor, rassistisch zu sein - kennen wir alle die breitengradabhängigen Klischees entlang unseres Meridians: Der von preußischer Administration geprägte autoritätshörige und humorarme Deutsche im Norden Mitteleuropas steht da im Kontrast zum gemütlichen Italiener, der das Leben mit stilvoller Kleidung, gutem Essen und immer etwas Zeit für einen caffè und einen kleinen Flirt genießt. Zwischendrin sind die Tiroler - zu mürrisch und schlecht gekleidet für den typischen Italiener, dem süßen Leben aber deutlich weniger abgeneigt als die "Deitsch'n", welche ihre eigene eng getaktete Fließband-Version des Dolce Vita ja regelmäßig an Tirols Hauptstraßen und Bergbahnen zur Schau stellen. Ich spreche da aus echter Erfahrung: Freunde von mir, die im Grunde den gleichen Job machen wie ich (nur halt in Deutschland) arbeiten deutlich länger und gestresster, während sich bei mir in der Firma alle Projekt- und Abteilungsleiter hüten, nach 16 Uhr noch Termine zu machen - der Feierabend ist schließlich für richtige Tiroler:innen dazu da, noch ein paarhundert Höhenmeter auf irgendeine Alm zu gehen - idealerweise mit dem Bergfahrrad oder im Winter mit den Tourenski, und das Dolce Vita zu genießen, bevor am Wochenende wieder die "deitsch'n" Blechlawinen anrollen ;) Währenddessen entdeckt der Deutsche gerade erst das Thema "Work Life Balance", weil er zuvor immer der Meinung war, dass der Bismarck das doch schon mit seiner staatlichen Rente alles geregelt hat und die 20er, 30er, 40er, 50er und 60er des Lebens nun mal dafür da sind, hart zu arbeiten und wichtig zu sein. Es geht also in Tirol einfach auch von der Mentalität her wesentlich "italienischer" zu als man es aus Deutschland gewohnt ist.

Hinzu kommt, dass man in Tirol (oder auch allgemein in Österreich - man muss dazusagen, dass bpsw. auch die Österreichische Kaffeekultur - hier in Tirol nur am Rande zelebriert - der Italienischen in nichts nachsteht) eine Sprache verwendet, die argumentativ ganz anders funktioniert als in Deutschland. Bestes Beispiel ist die Formulierung "das geht sich nicht aus." - ein extrem mächtiger Allzweckreiniger gegen alles, worauf man keine Lust hat, keinen Ausweg sieht oder wovon man nicht damit rechnet, dass es funktioniert. Speziell in Tirol gibt es auch "zaach" für alles, was eigentlich schrecklich, furchtbar oder anstrengend aber dennoch machbar ist. Das ist im Vergleich zum Niederdeutschen ("Schriftdeutschen") ein ganzes Stück näher an italienischen sprachkulturellen Errungenschaften wie "boh" oder "dai" oder ganz allgemein dem lockeren Weglassen der Pronomen, weil die Konjugation bereits alles sagt.

Daher sind die Tiroler bereits ganz klar keine Deutschen mehr, ähneln im Privaten allenfalls noch Schwaben oder Bayern, sondern bilden von Deutschland aus gesehen einen fließenden Übergang zu den sommerlichen Urlaubsdestinationen der Tennissockenträger, bzw. wecken Assoziationen mit den dort anzutreffenden Gastgebern, während man die Tennissocken im Winter aus den Sandalen heraus in Leihskistiefeln versenkt. Der Deutsche ist dann seinerseits schnell mit derlei weltmännisch-vergleichenden Formulierungen "falsche Italiener" um seinen Status als weitgereister Kulturkenner möglichst reichweitenstark zum Ausdruck zu bringen - seit Goethe seinen Zeitgenossen Georg Forster und Alexander von Humboldt "gleichziehen" wollte und eine Bildungsreise nach Italien (!) gemacht hat, ist das nun mal fester Bestandteil der preußischen Bourgeoisie.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Wenn, dann muss man von "Südtirolern" sprechen. Nord und Osttirol sind ja bekanntlich Österreich.

Tirol hat eine sehr bewegte neuere Geschichte. Bis zum Jahr 1918, bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, gehörten Südtirol und das Trentino zur Grafschaft Tirol und waren somit seit über 550 Jahren Teil des Habsburger Reiches. Rund 100 Jahre davor war es den Grafen von Tirol gelungen, ihre Gebiete aus dem Herzogtum Bayern herauszulösen und als selbständiges Territorium anerkennen zu lassen.

Grundlegend veränderte sich die Landkarte Europas nach dem Ersten Weltkrieg 1918. Die Donaumonarchie zerfiel in ihre Bestandteile, und das Chaos des sich auflösenden Staatsgebildes nützten italienische Truppen, um Südtirol zu besetzen. 1919 wurde Südtirol dann im Vertrag von Saint-Germain endgültig Italien zugesprochen, obwohl dies eigentlich dem von den Siegermächten proklamierten Selbstbestimmungsrecht der Völker widersprach.

Auch heute noch kämpfen viele (vor allem deutschstämmige) Südtiroler für ihre Autonomie oder sogar Loslösung von Italien.

Oder einfach ein wenig selbst lesen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_S%C3%BCdtirols

http://www.konvent.bz.it/de/content/suedtirols-langer-weg-von-st-germain-zum-konvent.html

Woher ich das weiß:Recherche

Ich glaube, dass das Lebensgefühl in Tirol , gerade ab Innsbruck recht italienisch/bayrisch/österreichisch geprägt ist. Rein italienisch und als falsche Italiener würde ich es nicht bezeichnen. Jedoch merkt man die Nähe zu Italien.Auch in gewissen Dialektwörtern merkt man romanische oder italienischen Ursprung. In Innsbruck gibt es sogar einen kompletten Stadtteil aus Südtiroler Siedlungen, die auch über Jahrzehnte diese Gegend prägten. Auch war Innsbruck immer der Mittel- und Handelspunkt von Nord und Süd. Sprich es kamen auch immer wieder aus dem süden Händler, die auch hängen geblieben sind. Natürlich auch aus dem Norden oder anderen Teilen Europas. Auch geschichtlich, nach dem 1. Weltkrieg kam es durch die Italiener zu einer 2 Jahres Besatzung, die im Stadtarchiv Innsbruck detalliert beschrieben wird. Architektonisch waren auch Herrscher dieses Landes sehr Italophil geprägt und es gab in Innsbruck eine italienische Landesfürstin "Claudia Medici". Die Arkaden und engen Gassen, in denen man gutes Essen, wie in Italien riecht, jedoch trotzdem bayrische Gemütlichkeit und österreichische Lässigkeit zeichnen die Stadt aus. Es gibt einen Spruch der für mich stimmt: " Der Tiroler ist der misslungene Versuch aus einem Bayern einen Italiener zu machen" oder ungekehrt. Es gibt auch viele Familien , die italienische Nachnamen besitzen, mehr als in anderen österreichischen Bundesländern.

Weil Tirol lange Deutsch und anschließend Österreichisch war, das hinterlässt Spuren