Namensänderung in Polen - warum nur?
Meine Oma hat ein Geheimnis mit ins Grab genommen, das mich nicht los lässt.
Hintergrund:
Die Familie meiner Oma lebte mit ihrer Familie auf dem Land, in der Nähe von Lodz als Halbwaise auf dem Gut/dem Gutsbesitz der zeitig verstorbenen Mutter meiner Oma, das ihr Vater mit seiner Alkoholsucht schnell unter die Räder brachte. In meiner Kindheit erwähnte meine Oma auch, dass sie zusammen mit ihrem Vater inhaftiert wurde, dass durch eine Bombadierung des Gefängnisses beiden die Flucht gelang.. Warum sie eingesperrt wurden, beantwortete sie nicht oder ich erinnere mich nicht daran.
Meine Oma lernte etwa 1940 etwa meinen Opa kennen, den gutherzigen Sohn eines Webereibesitzers. Die beiden bekamen zwei Kinder. 1945 waren sie als "Deutsche" wegen ihrer Wurzeln verhasst, ohne je mit dem Krieg oder mit Politik irgendetwas zu tun gehabt zu haben. Es war den polnischen Leuten gestattet, jederzeit anzuklopfen und eingelassen zu werden, um die Wohnung nach brauchbaren Einrichtungsgegenständen zu durchsuchen. Hätten sie sich geweigert, hätte das böse Auswirkungen gehabt.
Als mein Opa wegen seiner deutschen Wurzeln schließlich in ein KZ inhaftiert werden sollte, flüchteten sie mit den zwei Kleinkindern 1945 aus Polen nach Deutschland. Damals sprachen sie so gut wie kein Deutsch, zumindest meine Oma nicht, die auch bis zu ihrem Tod noch mit erkennbarem Akzent sprach.
In meiner Kindheit durfte ich eine Urkunde ansehen, auf der sie mir ihre Namensänderung zeigte; ein polnischer Name, der zu einem deutschen Namen gemacht wurde "Elli Zippel"(Versucht man Zippel polnisch zu schreiben, könnte es zu einem Cype(g/l) (ausgesprochen "Zirek") werden, einem geläufigen polnischen Familiennamen). Wie ich gehört habe, war das üblich, dass man die polnische Schreibweise beim Namenändern auf diese Weise "verdeutscht" hat.
Ich frage mich, warum sie mir später nicht mehr die Wahrheit anvertrauen konnte, warum sie ihren Namen änderte, und weshalb der Umstand von ihr geheim gehalten wurde.
Bevor sie meinen Opa ca. 1940 heiratete, hieß sie noch Zippel. Zu dieser Zeit gab es um Lodz gräuliche "Säuberungsaktionen" von den Truppen Stephan Banderras, um aus Teilen Polens einen "reinen" ukrainischen Bereich zu machen.
Haltet Ihr es für möglich, dass sie aus Panik vor den "Säuberungs-Truppen" ihre Herkunft verdecken musste?
5 Antworten
Du gehörst sicher zu den Nachfahren von deutschen Staatsbürgern, die in Polen nach 1945 bleiben durften, statt wie die anderen 12 bis 14 Millionen Menschen vertrieben wurden. Meine Eltern und Großeltern wurden aus Masuren Ostpreußen vertrieben, sie durften nicht dort bleiben. Es ist möglich, dass sie die polnische Sprache nicht ausreichend beherrschten. Und der Nachname mit einem -ski am Ende half auch nicht. Verwandte meiner Oma hatten noch einen Nachnamen der häufig in Russland, Ukraine und Polen war. Auch heute noch gibt es Verwandte mit diesen Namen. Meinen Opa haben Nazis damals gefragt, ob er seinen Namen ändern wird, das tat er dann nicht, ohne jede Folgen.
Durch das Raster fielen sie sicher auch, weil sie evangelisch waren, statt katholisch, wie es überwiegend Polen waren.
Ich bin nicht gut über die Vertreibungsdekrete informiert, denke aber dass es vorher ab 1945 wilde Vertreibungen gegeben hatte. Und die neuen zukünftigen Besitzer der Bauernhöfe durften sich ja vorher alles anschauen, wenn sie es wollten.
Du könntest durch Urkunden und Kirchenbucheinträge weiteres herausfinden.
Wo war Dein Opa in Haft? In Polen gab es keine polnischen KZs, möglich aber Haftanstalten, die vormals als NS- Konzentrationslager von den Deutschen genutzt wurden. Ich habe ein Ortsverzeichnis vom Deutschen Roten Kreuz, Suchdienst Zivilverschollenliste, darin sind Sow. und polnische Haftorte gelistet.
Zu Stephan Banderras hast Du sicher eine falsche Ansicht. Wo wirkte er denn, außerhalb Wolhynien und Ostgalizien ? Bis 1939 war er in einem polnischen Gefängnis inhaftiert, dann ab 1941 von der Gestapo in das KZ Sachsenhausen gebracht.
Wo ist Dein Opa geboren?
Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) in der Bandera der Vorsitzende war kollaborierte mit den deutschen Nazis und bekämpfte (milt. Arm OPA) die polnische Heimatarmee, sie töteten 100 000 Polen. Hatte Dein Opa was damit zu tun?Bezüglich Bandera kenne ich mich nicht aus, so fehlen mir viele Zusammenhänge, und ich möchte hier kein Urteil gefällt haben und fällen über Dinge, die ich nicht erfassen und beurteilen kann. Meine (vielleicht nicht korrekten) Überlegungen machte ich nur, um mir selbst Gründe vor Augen zu führen, die meine Oma veranlasst haben könnten, ihren Namen zu ändern. Denn sowas ist schon ein großer Akt. Nein, meine Großeltern und Urgroßeltern waren komplett unpolitisch, völlig naiv und mit ganz anderen Dingen im Leben beschäftigt, sie hatten damit nichts zu tun, so viel zu deiner Frage.
Ich habe von meiner Oma auch nie erfahren, warum sie mit ihrem Vater in Haft war, das sagte sie, wisse sie nicht. Es wäre auch nicht auszuschließen, dass sie jüdische Wurzeln hatte und sich gezwungen sah, diese aus bekannten Gründen zu verbergen. Ich danke Dir jedenfalls für deine sehr ausführliche und informative Antwort. Viele Grüße
Ich betreue im Altenheim viele Menschen aus dieser Zeit, mit ähnlichen Erfahrungen und aus dieser Region.
Es war ein einziger Alptraum und wer Angst um sein Leben und das seiner Familie hat handelt nicht immer nach den eigenen Moralvorstellungen.
Für diese Menschen war das ein Trauma, diese Generation hat auch nie gelernt offen darüber zu sprechen.
Ich denke nicht das es ein Geheimnis ist sondern die Folge von einer zu schlimmen Erinnerung, die vergessen werden wollte.
Es geht noch schlimmer, Menschen die an Demenz erkrankt sind leben oft geistig in ihrer Kindheit. Die schlimmen Ereignisse die dort geschehen sind erleben sie dann immer und immer wieder.
Ich betreue zwei Frauen die auch aus dieser Region kommen, beide erzählen fast täglich immer wieder von diesen schlimmen Erlebnissen, dabei weinen sie und sind total fertig. Durch die Demenz können sie gar nicht mehr kontrollieren welche Gedanken und Erinnerungen in ihrem Kopf sind.
Eine andere Bewohnerin dessen Vater im Krieg bei einem Bomberangriff verschüttet wurde schreit täglich mehrere Stunden „Papa Papa“. So ist das Vergessen oder Verdrängen können ein Segen.
Ja ich denke das alles war der Grund dafür. Sie hatte einfach Angst.
Vielleicht hat sie sich geschämt? Sie hat ja erst ihre eventuell polnische Herkunft verfälscht und wurde dann als Deutsche wieder vertrieben.
Obwohl es kein Grund (für mich) ist, sich zu schämen...
Du brauchst Dir nur zu überlegen, dass es Menschen gab, die nur mit Hilfe von falschen Papieren überleben konnten, und das nur machen mussten, weil sie Juden waren.
Da steckt dann doch so viel Angst dahinter, die man nicht mal dann ablegen konnte, als es an sich gar nicht mehr nötig gewesen wäre.
Zum Beispiel kann ich mich daran erinnern, wie meine Oma erschrak, als ich eine Kette mit Davidstern trug.
שלום
Es tut mir sehr leid, dass sich Deine Oma so fühlen musste. Fehlgeleitete Politik und irrwitziger Wahn bringen und brachten so viel Unheil über arme, unschuldige Menschen.
Es sind Leute auch verhaftet worden, weil sie entweder einen "Feindsender" gehört hatten, oder Juden geholfen hatten.
Allerdings denke ich nicht, dass es Scham war, etwas zu verschweigen, sondern eher um zu verschleiern, dass mit der Identität etwas nicht stimmte.
Dazu fällt mir Roma Ligocka ein, die eigentlich Roma Liebling hieß, und nur mit dem polnischen Namen überleben konnte. Sie ist übrigens die Cousine von Roman Polanski*, und soll nach eigenen Angaben "das Mädchen mit dem roten Mantel" gewesen sein. (*eigentlich Roman Liebling!)
Ich denke auch aufgrund der Schreibweise. Das ist nicht ganz einfach.
Ich kenne Rumänen die ihren Namen auch in einen deutschen änderten.
Sie wollte wahrscheinlich auch unauffällig hier Leben. Natürlich bleibt der Akzent, aber Müller Beispielsweise ist namentlich unauffällig.
Hast du keine Verwandte zum Fragen?
"Sie wollte wahrscheinlich auch unauffällig hier leben."
Ihren (eventuell) polnischen Namen hat sie damals noch in Polen geändert, deswegen wollte sie nicht hier (in Deutschland) unauffällig leben. Das Tragische ist, dass sie dann im Anschluss das Pech hatte, als "Deutsche" auch wieder verfolgt zu werden.
Danke für Deine freundlichen Bericht und das "Mitdenken".
Wie wenig wurde man diesen Leuten gerecht. Sie haben so gelitten, keiner hat das mit ihnen oder für sie aufgearbeitet. Es wurde einfach so hingenommen, als Schicksal.
Vielleicht wollte sie es verdrängen... könnte auch sein, doch ich habe nie verstanden, was wirklich passiert ist.