Meinung der Stoiker und der Epikuer zu dem Verhältnis zwischen den Menschen und Göttern?

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Beide philosophischen Richtungen, Stoiker und Epikureer, meinen, es gebe Götter/Gottheiten. Ansonsten sind ihre Auffassungen über das Verhältnis von Menschen und Götter/Gottheiten ziemlich gegensätzlich.

Die Stoiker nehmen eine göttliche Leitung der ganzen Welt (des Kosmos) an, die auf vernünftige Weise geschieht. Für die Menschen ist es richtig, die ganze Welt und das Weltgeschehen als sinnvoll anzuerkennen, auch wenn sie nicht alles voll verstehen, und sich in die göttliche Ordnung einzufügen.

Nach Auffassung der Epikureer leben die Götter/Gottheiten in Räumen zwischen den aus Atomballungen gebildeten Welten (Intermundien [Zwischenwelten]; griechisch: τὰ μετακόσμια [ta metakosmia]; lateinisch: intermundia) selig und sorglos, ohne sich sich um die Welten zu kümmern, und lassen sich von den Menschen nicht erreichen oder beeinflussen.

Stoiker

Rolle der Götter:

  • Götter/Gottheiten sind unsterbliche/unvergängliche und glückselige Wesen.
  • Die Welt ist göttlich durchwaltet.
  • Die ganze Welt ist sinnvoll und vernünftig erklärbar, aber die Menschen verstehen möglicherweise nicht alles.
  • Götter/Gottheiten kümmern sich um die Angelegenheiten der Menschen und lenken/leiten die Welt.
  • Es ist für die Menschen richtig, die Welt als sinvoll anzuerkennen und sich in die göttliche Ordnung einfügen, Furcht gegenüber den Göttern/Gottheiten ist dann unnötig und falsch. Die Götter/Gottheiten sind wohlwollend und gut, können aber auch strafen. Weil Götter/Gottheiten keinen Schaden anrichten, sonndern gut und fürsorglich handeln, sind Bitten an sie überflüssig.
  • Es gibt Zeichen des Göttlichen und Weissagung ist grundsätzlich möglich.
  • Durch Weisheit können die Menschen den Götter/Gottheiten in gewissem Ausmaß ähnlich werden. Gutes Handeln ist richtige Götterverehrung. Die Götter/Gottheiten sind Vorbild für gutes Verhalten.

In der Stoa wird ein umfassendes grundlegendes Prinzip, nämlich der Logos (griechisch meistens λόγος genannt, daneben z. B auch νοῦς [Geist/Vernunft]; lateinisch: ratio [Vernunft]), mit Gott/Gottheiten/dem Göttlichen, der Vorsehung (griechisch: πϱόνοια [pronoia]; lateinisch: providentia) und dem Schicksal (griechisch: εἱμαϱμένη [heimarmene]; lateinisch: fatum) gleichgesetzt.

Eine Vielzahl von Gottheiten kann als Vielfalt von Erscheinungsformen einer Gottheit/des einen Göttlichen verstanden werden. Theologisch sind nicht alle Vertreter der Stoa völlig einheitlich, aber es besteht eine Neigung zum Pantheismus (Auffassung, Gott/das Göttliche existiere in allen Dingen der Welt, auch im Menschen, bzw. sei mit dem Kosmos/der Natur identisch).

Die Stoa lehrt in ihrer Naturlehre (Physik), es gebe ein zugleich geistiges und materielles/stoffliches Prinzip, dargestellt als ein feinstoffliches Feuer, als ein warmer Hauch (griechisch: πνεῦμα [pneuma]) und als die Weltvernunft, der Logos. Der Logos durchwirkt alles, mit unterschiedlicher Konzentration (Reinheit und Stärke). Der Logos ist ein aktives Prinzip, das die Materie als passives Prinzip durchdringt, prägt, formt/gestaltet (wobei beide Prinzipien als Körper verstanden werden) und so die ganze Welt/Wirklichkeit zu einer organischen Einheit verbindet, den Kosmos. Der Logos ist weltimmanent (der Welt innewohnend) und belebend. In jedem Wesen ist keimhafte Vernunft anwesend. Es gibt also Ausflüsse oder Absplitterungen des universalen Logos, unvergängliche Samen oder Keime. Der Logos kann als eine Art von Träger von Information/geistigem Gehalt gedeutet werden, während er unter dem Gesichtspunkt einer Entwicklung von einem Bewegungsursprung her als Physis/Natur (griechisch: φύσις; lateinisch: natura) auftritt. Der Logos lenkt/leitet den ganzen Kosmos. Er bestimmt also das Weltgeschehen. Der Logos bringt gemäß einer festen Gesetzmäßigkeit die Entwicklung des Kosmos zustande. Alles hat seinen Platz in der universalen Ordnung.

In der Welt vollzieht sich das Geschehen nach stoischer Auffassung mit Notwendigkeit. Freiheit hat eine Person in der Innerlichkeit, in der Einstellung zum Geschehen (dies steht in Spannung zur Annahme der Schickalsnotwendigkeit und schafft ein Vereinbarungsproblem, weil eigentlich zu denken wäre, die Notwendigkeit erstrecke sich auch auf die innerliche Zustimmung/Nicht-Zustimmung).

Der Weise hat Einsicht darin, daß eine göttliche Vernunft (der Logos) die Welt durchwaltet und ist bereit, ihre Sinnhaftigkeit anzuerkennen, auch wenn das begrenzte menschliche Wissen nicht immer dazu ausreicht, dies voll zu durchschauen. Daher fügt er sich in das Schicksal/das Göttliche/die göttliche Ordnung.

eine Internetseite:

https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/stoa/ch/55877e3095d3bc552c13d2af7357b693/#h3

Epikureer

Die Epikureer haben die Auffassung, es gebe Götter/Gottheiten, es sei aber falsch, sie zu fürchten oder etwas von ihnen zu erbitten, weil sie weder die Menschen strafen noch ihnen durch ein Eingreifen helfen.

Rolle der Götter/Gottheiten:

  • Götter/Gottheiten sind unsterbliche/unvergängliche und glückselige Wesen.
  • Die Welt ist keine göttliche Schöpfung.
  • Alle Dinge können rein natürlich erklärt werden.
  • Götter/Gottheiten kümmern sich nicht um die Angelegenheiten der Menschen und lenken/leiten nicht die Welt.
  • Furcht gegenüber Göttern/Gottheiten ist unnötig und falsch.
  • Aberglauben soll überwunden werden.
  • Frömmigkeit gegenüber den Göttern/Gottheiten besteht darin, über sie richtige Auffassungen zu haben und sie als Vorbilder zu verehren.

Epikur verneint die Existenz einer Gottheit Zufall ab, die von der Menge/Masse angenommen wird. Besonders scharfe Ablehnung äußert Epikur gegen die Existenz einer Schicksalsnotwendigkeit (griechisch: εἱμαρμένη [heimarmene]; lateinisch: fatum) mit einer strikten durchgehenden Notwendigkeit und Vorherbestimmung, wie sie die Stoiker vertraten.

Epikur hat die Existenz von Gottheiten angenommen, sie aber für unvergängliche und glückselige Lebewesen gehalten, die sich nicht um die Angelegenheiten der Menschen kümmern und nicht die Welt lenken/leiten/regieren, da mühselige Geschäfte, Sorgen, Zornesausbrüche und Gunsterweise mit Glückseligkeit unverträglich seien (Epikur, Brief an Herodot [Diogenes Laertios 10, 76 – 77]; Epikur Brief an Menoikeus [Diogenes Laertios 10, 123 – 124]). Erscheinungen am Himmel und auf der Erde, alles, was zwischen Himmel und Erde geschieht, kann nach Epikurs Auffassung natürlich, ohne Einwirkung von Gottheiten, erklärt werden und diese Erklärung übernimmt die Naturlehre/Naturphilosophie. Himmelserscheinungen verkünden nicht göttliche Strafen. Furcht vor Göttern/Gottheiten ist tatsächlich der Sache nach unbegründet und falsch. Die Beseitigung solcher Furcht trägt zu einem glücklichen Leben bei (Wegfall einer Beunruhigung der Seele).

Die Existenz von Göttern/Gottheiten ergibt sich aus Epikurs Erkenntnistheorie. Danach ist Erfahrung Grundlage von Wissen/Erkenntnis (dieser Standpunkt wird Empirismus genannt) und zwar die Erfahrung der Sinne (dieser Standpunkt wird Sensualismus genannt). Da Menschen (bildhafte) Vorstellungen von Göttern/Gottheiten haben (dies war bei den damaligen Menschen sehr allgemein so), geht dies nach Epikurs Erkenntnistheorie auf etwas in der Wirklichkeit Vorhandenes zurück.

Epikur wendet sich gegen ein falsches Verständnis von den Göttern/Gottheiten. Die Masse habe über sie falsche Meinungen. Epikur zeigt durch begriffliche Untersuchung, wie dabei widersprüchliche Aussagen auftreten. Mit Begriffen zu Göttern/Gottheiten, die der Definition nach feste Wesensmerkmale sind/zum Kern ihrer Eigenschaften gehören, sind weitere Zuschreibungen unvereinbar: Der Begriff von Göttern/Gottheiten als glückselige Wesen schließt aus, daß sie mit den Mühen einer Erschaffung, Erhaltung und Lenkung der Welt und einer Sorge für die Menschen belastet sind. Ihre Glückseligkeit, Unvergänglichkeit/Unsterblichkeit und völlige Unanfälligkeit für Übel (nichts kann ihnen schaden) schließt Affekte (Leidenschaften) wie Zorn, Haß, Neid, Mißgunst und auch begünstigende Gefälligkeit aus. Götter/Gottheiten können unmöglich solche Empfindungen haben und sind nicht durch Gebete und Opfergaben bestechlich.

Götter/Gottheiten sind nach Epikur beste und erhabenste Wesen. Sie zeichnen sich durch Weisheit und Tugend/Vortrefflichkeit aus und haben daran Freude. Sie besitzen selbstgenügsame Unabhängigkeit (Autarkie). Sie genießen Glückseligkeit. Ihre Leben ist von Lust/Freude geprägt, sie haben eine frohe, heitere Gemütsruhe.

Epikur spricht im Brief an Menoikeus (Diogenes Laertios 10, 133) davon, wie jemand mit der richtigen Auffassung das von einigen als Herrin von allem eingeführte Schicksals verlacht/verspottet und eher sagt, daß das eine aufgrund/gemäß der Notwendigkeit (κατ' ἀνάγκην) geschieht, anderes aus Zufall (ἀπὸ τύχης), anderes durch uns (παρ' ἡμᾶς). Er wolle eher dem Mythos über die Gottheiten nachfolgen als dem Schicksal der Naturphilosophen Sklave zu sein, da nach dem Mythos Hoffnung auf Abbitte durch Ehrung der Gottheiten bestehe, das Schicksal sich dagegen unerbittlich verhalte.

Notwendigkeit (ἀνάγκη [ananke]) und Zufall (τύχη [tyche]) sind in diesem Zusammenhang Begriffe, keine Gottheiten (als Personifikationen von Schicksalsmächten).

ausführlicher:

https://www.gutefrage.net/frage/wie-stand-epikur-zur-religion

https://www.gutefrage.net/frage/was-fuer-eine-ansicht-vertritt-epikur-gegenueber-der--goettlichkeit-und---schicksal-zufall-


zetra  29.11.2021, 17:46

Du lässt hier ja immer weit erklärende Berichte entstehen, hoffentlich werden sie auch entsprechend gewürdigt?

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Albrecht  05.12.2021, 20:35
@zetra

Die entsprechende Würdigung kommt nicht immer. Bei großem Zeitaufwand für Recherche, Überlegungen und Schreiben lesen erst einmal nur eher wenige die Antwort durch Aufrufen der neuen Fragen. Es gibt eine Abhängigkeit von denen, die eine Frage gestellt haben, ob sie eine Reaktion zeigen. Langfristig kommt es darauf an, ob die Frage als Suchergebnis deutlich bemerkbar erscheint und ob dann zu Antworten Bewertungen gegeben und/oder Kommentare geschrieben werden.

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