Erster Weltkrieg -> überraschende Niederlage oder vorhersehbare Niederlage? (Dolchstoßlegende)?
Ich beschäftige mich aktuell mit der Dolchstoßlegende. Es wird einerseits berichtet, dass die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg sehr überraschend kam, weil der Öffentlichkeit bis zum Schluss ein kurz bevorstehender Siegfrieden versprochen wurde. Wie ich das verstanden habe, hat bis zum Schluss das Militär falsche Berichte an das Reich/die Regierung abgegeben.
Andererseits wird berichtet, dass es innerhalb zu großen Unruhen und Streiks (April 1917, Januar 1918) kam. Die Unruhen entstanden aufgrund der immer geringeren Chance auf einen Sieg und aufgrund der hohen Todeszahlen.
Wie passt das zusammen? Einerseits wird berichtet dass die Bevölkerung gegen den aussichtslosen Krieg streikt und auf der anderen Seite kommt der Krieg unvorhersehbar?
Und noch eine zweite Frage zur Dolchstoßlegende:
Als die Kriegslage aussichtslos war hat die OHL gefordert, dass es zu einer Verfassungsänderung kommt und dass die neue Regierung dann einen Waffenstillstand verhandelt. Wie kommt es, dass die Bevölkerung nun die Regierung für die Niederlage verantwortlich macht, wobei das Militär ja quasi den Befehl dazu gegeben hat? (Ja klar, die Regierung unterschreibt letztlich den Vertrag, aber trotzdem wirft das Fragen auf9
3 Antworten
So funktioniert Politik. Unsere jetzige Regierung muss zum Teil das ausbaden, was die Regierungen zuvor versäumt haben und wird angefeindet. Biden muss das reparieren, was Trump zerstört hat, mit demselben Ergebnis.
Hindenburg/Ludendorff konnten sich auf militärischen Erfolgen ausruhen und die Schuld von sich weisen. Aufruhr unter den Soldaten (etwa bei der Marine) konnte man den bürgerlichen Parteien anlasten. Die mussten letztlich auch die Friedensbedingungen aushandeln.
Das Volk ist allgemein mit billigen Slogans einfach einzufangen; das funktioniert auch heute, wenn man gegen "die da oben" wettert, weil man eine Maske aufziehen soll, eine Impfung empfohlen wird oder weil die Heizkosten steigen.
Was die Erwartungen in Kriegen anbelangt, ist das wie bei einem Kartenspiel, bei dem man bluffen darf. Man weiß, was man für Karten hat und kann die Erfolgsaussichten einigermaßen abschätzen. Man kann aber nicht der Bevölkerung erzählen, jo, wir verlieren sowieso, weil dann kämpft die nicht mit. So doof ist sie nun doch nicht^^. Solange der Gegner nicht um die Schwächen weiß, kann man vielleicht mit einem blauen Auge, einem halbwegs günstigen Verhandlungsfrieden, aus der Sache herauskommen. Die Mittelmächte hatten immerhin Russland ausgeschaltet und die italienische Front zum Einsturz gebracht; das hätte Großbritannien, Frankreich und die USA ja beeindrucken können...
Wäre der Krieg europäisch geblieben, hätte es durchaus anders ausgehen können (vermutlich mit einem neutralem Frieden, wo jeder ein bisschen gibt und nimmt). Als die Amis dann mitgespielt haben, war es eigentlich schon vorbei, das war allen bewusst. Da stand nur noch der Stolz dem Eingeständnis der Niederlage im Weg.
Der Dolchstoß ist eine Erfindung aus dem rechten/natiionalistischen Lager und wurde nicht vom Großteil der Bevölkerung mitgetragen. Entsprechende Propaganda findet man auch heute haufenweise, z.B. bei Trump oder der AfD (um mal dem Durchschnittsdeutschen bekannte Beispiele zu nennen), mit der Realität hat sowas bloß rein garnichts zu tun.
Und hätten die Aliierten nicht diesen komplett hirnverbrannten Versailler Vertrag verbrochen, hätte entsprechendes Gelaber sich auch nie groß gehalten/verbreitet.
Augenroll!
Die Dolchstoßlegende wurde nicht "von dem deutschen Volk" vertreten, sondern nur von seinem dümmlichen, rechtsextremistischen und nationalistischen Teil!
Und zum Kriegsausgang wurde die auch nicht von vielen geglaubt.