Homologien erkennen?

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Das Kriterium der Stetigkeit besagt, dass zwei homologe Strukturen über Zwischenformen miteinander verbunden sein können. Ein Beispiel dafür sind die zwei Gehörknöchelchen Hammer (Malleus) und Amboss (Incus) im Mittelohr der Säugetiere, welche homolog sind zu den beiden Knochen Articulare und Quadratum bei den anderen Wirbeltieren.
Die Vorfahren der Säugetiere, die Cynodontier, gehören zu einer Gruppe, die "Säugerähnliche Reptilien" genannt werden. Bei dieser Tiergruppe bilden das Articulare und das Quadratum das primäre Kiefergelenk (Quadrato-Articulargelenk). Bei den Säugetieren wanderten diese beiden Knochen ins Mittelohr und wurden dort Teil des Hörapparats. "Reptilien" haben nur einen Gehörknochen, die Collumella. Dieser Knochen ist homolog zum Steigbügel (Stapes) der Säugetiere. Bei Säugern wird, weil die ursprünglichen Kiefergelenksknochen nun im Mittelohr liegen, deshalb ein sekundäres Kiefergelenk gebildet zwischen dem Schuppenbein (Squamosum) und der Maxilla (Unterkiefer), die nur noch aus einem einzigen Knochen (dem Dentale) besteht (Squamoso-Dentalgelenk). Dass Articulare und Hammer sowie Quadratum und Amboss zueinander homolog sind, kann aus fossilen Zwischenformen abgeleitet werden. Man hat nämlich Überreste früher Säugetiere aus der Obertrias wie Morganucodon gefunden, welche beide Kiefergelenke besitzen.

Das Kriterium der Spezifischen Qualität besagt, dass Homologie dann angenommen werden kann, wenn zwei Strukturen in ihrem Feinbau sehr ähnlich sind. Je größer die Übereinstimmung im Aufbau zweiter Strukturen sind, umso wahrscheinlicher ist, dass es sich dabei um Strukturen handelt, die auf eine gemeinsame Ursprungsstruktur zurückgehen. Ein solches gut bekanntes Beispiel dafür sind unsere Zähne und die Placoidschuppen der Haie. Wie unsere Zähne, so zeigen auch die Placoidschuppen den gleichen Aufbau aus Zahnbein (Dentin) und einem Überzug aus Schmelz (Enamelum). Im Inneren befindet sich die Pulpa, in der die Blutgefäße und die Nerven verlaufen. Verankert im Bindegewebe sind beide Strukturen durch die gleiche Art spezieller Kollagen-Fasern, der so genannten Sharpey-Fasern. Beide Strukturen sind also sehr ähnlich aufgebaut und lassen sich wohl vom urprünglichen Dermalskelett der frühen Schädeltiere (Craniota) ableiten.

Warum der Vogelflügel und der Fledermausflügel zueinander homolog sind, erklärt uns das dritte Kriterium - das Kriterium der Lage. Homolog sind Strukturen dann, wenn sie in einem Gefüge die gleiche Lage zueinander haben. Das gilt z. B. für die Knochen der Vorderextremität bei den Wirbeltieren. Der Grundaufbau ist stets von proximal (körpernah) nach distal (körperfern) gleich: Oberarmknochen (Humerus), die Unterarmknochen Elle und Speiche (Ulna und Radius), die Carpalknochen (Carpalia), die Mittelhandknochen (Metacarpalia) und schließlich die Phalangen der einzelnen Finger. Die Anzahl der einzelnen Knochen kann bei den einzelnen Tierarten erheblich variieren. Bei den Walen, deren Vordergliedmaßen zu den Brustflossen (Flipper) umgebildet sind, sind besonders viele Finger ausgebildet (Polydactylie). Bei den Pferden dagegen ist nur noch der dritte Finger übrig, alle anderen gingen in der Evolution verloren. Obwohl die Anzahl unterschiedlich sein kann, ist die Lage der einzelnen Knochen zueinander stets gleich - auf den Humerus folgen immer Radius und Ulna und es ist nie umgekehrt.
Weil sowohl der Flügel der Fledertiere (Chiroptera) als auch der der Vögel (Aves) diesen gleichen Grundaufbau des Knochengefüges zeigen, sind sie homolog - es sind typische Vordergliedmaßen der Landwirbeltiere (Tetrapoda).

Warum sind Vogelflügel und Fledermausflügel aber auch zueinander analog? Nun, die Homologie besteht nur dann, wenn man beide als Vorderextremität der Landwirbeltiere betrachtet. Betrachtet man sie jedoch als Flügel, sind es analoge Strukturen. Denn Fledermäuse und Vögel haben unabhängig voneinander Flügel gebildet - wären beide Flügel homolog, müssten sie jedoch im Lauf der Evolution von einem gemeinsamen Vorfahren und nicht unabhängig voneinander entstanden sein.
Zwar haben sowohl Vögel als auch Fledertiere ihre Flügel aus der gleichen Struktur, der Vordergliedmaße nämlich, entwickelt, aber zu ganz unterschiedlichen Zeiten und unabhängig voneinander und auch auf ganz unterschiedliche Weise. Beim Vogelflügel sind die einzelnen Fingerknochen reduziert und miteinander verschmolzen. Die Tragflächen werden von den großen Schwungfedern gebildet. Der Fledermausflügel dagegen ist anatomisch ganz anders aufgebaut. Bei ihnen sind die einzelnen Fingerknochen stark verlängert und die Tragfläche wird aus einer Flughaut gebildet, die sich zwischen sie spannt - daher auch der wissenschaftliche Name Chiroptera: er bedeutet so viel wie "Handflügler".
Übrigens hat vor den Vögeln und den Fledertieren schon eine dritte Gruppe der Landwirbeltiere den Luftraum erobert. Auch sie haben ihre Flügel aus den Vordergliedmaßen gebildet, aber abermals auf eine gänzlich andere Art und Weise und unabhängig von den beiden anderen Gruppen. Die Flugsaurier (Pterosauria) besaßen Flügel, die im Wesentlichen aus einem einzigen stark verlängerten Finger bestanden. Zwischen dem Finger und dem Rumpf war dann, ähnlich wie bei den Fledertieren, eine Flugmembran gespannt.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Super427 
Fragesteller
 16.02.2020, 19:35

Danke für deinen Aufwand :) , hat mir sehr geholfen .

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Moin,

zunächst solltest du dir klar machen, dass

  • Homologie bedeutet, dass zwei Strukturen, die du miteinander vergleichst, auf gemeinsame Erbinformationen zurückgehen und deshalb auf eine Verwandtschaft schließen lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Strukturen auch gleich aussehen oder die gleiche Funktion erfüllen.
  • Analogie bedeutet, dass zwei Strukturen, die du miteinander vergleichst, sehr ähnliches Aussehen haben und womöglich auch die gleiche Funktion erfüllen, so dass man auf die Idee kommt, dass es hier um miteinander verwandte Strukturen geht. In Wirklichkeit aber haben lediglich ähnliche Umweltbedingungen oder Lebensweisen dazu geführt, dass gleich aussehende oder gleich funktionierende Strukturen herausgebildet wurden, ohne dass eine Verwandtschaft aufgrund gleicher Erbinformationen vorliegt.

Um herauszubekommen, ob miteinander verglichene Strukturen nun homolog oder lediglich analog zueinander sind, hat Remane 1952 drei Kriterien aufgestellt.

Dabei ist das Kriterium der Lage vielleicht am einfachsten zu verstehen. Wenn zwei miteinander verglichene Strukturen im Gefügesystem der Organismen die gleiche Lage einnehmen, so kann man von einer Homologie ausgehen.

Das Kriterium der spezifischen Qualität besagt hingegen, dass zwei Strukturen auch dann zueinander homolog sein können, wenn sie in sehr vielen Einzelheiten stark übereinstimmen.

Das Kriterium der Stetigkeit ist oft am schwierigsten zu erkennen. Hier werden nämlich meistens Strukturen miteinander verglichen, die ziemlich unähnlich aussehen und verschiedene Funktion haben. Wenn man aber die eine Struktur mit der anderen über eine Reihe von Zwischenstufen in Verbindung bringen kann, dann kann man von einer Homologie der verglichenen (sehr unähnlichen) Strukturen ausgehen.
Dabei können die Zwischenstufen Fossilien sein oder an lebenden Individuen auftreten. Wichtig ist allerdings, dass die Zwischenformen miteinander verwandt sind oder waren (um sie von sogenannten organischen Reihen abzuheben).

Was nun deine konkreten Fragen angeht, so gilt als Beispiel für das Kriterium der Stetigkeit die Entwicklung des Pferdehufs (heutiger Pferde). Pferde laufen nämlich auf ihren Mittelzehen. Aus der fossilen (angeblichen) Ahnenreihe der Pferde gibt es das Hyracotherium (mit fünfzehigem Fuß), das Mesohippus (drei Zehen), das Merychippus (eine Mittelfinger-Hauptzehe und zwei rudimentäre seitliche Zehen) und das Pilohippus (das wie das Pferd nur noch auf der Mittelzehe lief). Vorausgesetzt, dass diese Entwicklung verwandte Formen zeigt, kann man also den einzehigen Pferdefuß mit den fünfzehigen Extremitäten anderer Säugetiere im allgemeinen und den Pferdeahnen im Besonderen homologisieren, weil es fossile Zwischenformen dieser Entwicklung gäbe.
Auch wenn diese Ahnenreihe mitunter umstritten gesehen wird, das nächste Beispiel ist es auf keinen Fall, weil hier alle Zwischenformen an ein und derselben Pflanze zu finden sind. Gemeint sind die Dornen der Berberitze. Berberitzen haben sogenannte Blattdornen. Das sind konkret stets drei spitze Gebilde, die an den Stängeln vorkommen und dem Fraßschutz dienen. Aber woher weiß man nun, dass dies umgewandelte Blätter sind? Nun, zunächst sind es Dornen (keine Stacheln), weil sie wie Blätter über Leitbündel mit dem Stängelinneren in Verbindung stehen. Die Laubblätter der Berberitze bestehen aus dem Blatt und zwei Nebenblättern (es sind also wie die Blattdornen dreiteilige Strukturen), und die Dornen beherbergen wie die Blätter Knospen in ihrer Achsel (Kriterium der spezifischen Qualität). Außerdem nehmen die Blattdornen die gleiche Lage im Gefügesystem der Berberitze wie die Laubblätter ein (Kriterium der Lage). Was die Sache aber besonders interessant macht, ist, dass es an ein und derselben Pflanze zu Übergangsformen kommen kann, wobei die Laubblätter zunehmend schmaler und spitzer werden. Dadurch kann man zeigen, dass es sich bei den Laubblättern (mit Fotosynthesefunktion) und den Blattdornen (Fraßschutz) um homologe Strukturen handelt, weil sämtliche Homologiekriterien erfüllt sind und die Verwandtschaft der Strukturen mit Sicherheit auf identischem Erbgut beruht.

Was die Flügel der Vögel und der Fledermäuse angeht, so kann man als Analogie werten, dass bei beiden Gruppen die Vorderextremitäten Einrichtungen zum Fliegen sind. Aber während bei Fledermäusen zwischen den stark verlängerten Fingerknochen Flughäute ausgebildet sind, die den Flügel bilden, haben Vögel einen Flügel, der aus Federn gebildet wird. Darum kann man sicher sein, dass die gleiche Funktion zwar evolutiv eine flächige Lösung hervorgebracht hat, diese Lösung aber nicht auf Verwandtschaft, sondern auf einer Analogie beruht.

Auf der anderen Seite erfüllt die Stützstruktur der jeweiligen Flügel sehr wohl den Homologieverdacht, denn die Flügel beider Gruppen nehmen im Gefügesystem der Organismen die gleiche Lage ein (sie sind die Vorderextremitäten). Sie haben auch einen gewissen Grad an Übereinstimmung: es sind jeweils Knochen; es gibt stets einen Oberarmknochen, zwei Knochen (Elle und Speiche), Handwurzel- und Fingerknochen (auch wenn diese Knochenstrukturen im Vogelflügel mehr oder weniger stark miteinander verwachsen sind). Das erfüllt das Kriterium der spezifischen Qualität.

Fazit: Die Flügel von Vögeln und Fledermäusen sind vom knöchernen Aufbau her homolog miteinander, aber als Funktionseinheit im Sinne einer Tragfläche analog entstanden.
Daraus kannst du dann schließen, dass Vögel und Fledermäuse einst einen gemeinsamen Vorfahren hatten (ein Wirbeltier), aber die beiden Gruppen ansonsten nicht näher miteinander verwandt sind (das eine sind Vögel und das andere Säugetiere). Dass beide fliegen können, ist daher kein Argument für eine (nähere) Verwandtschaft, verstehst du?

LG von der Waterkant


Super427 
Fragesteller
 16.02.2020, 19:35

Danke für deinen Aufwand :) , hat mir sehr geholfen .

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