Ich würde sagen das ist tatsächlich ein komplexes Thema und die Ansätze und Denkweisen können sehr unterschiedlich sein. (Habe mich früher mal ziemlich intensiv damit beschäftigt.)
Heute dürfte der atheistische Satanismus am weitesten verbreitet sein, ein bekanntes Beispiel dafür ist die Church of Satan (gegründet von Anton Szandor La Vey) welche hier schon von anderen genannt wurde. Oft wird als „Begründer des modernen Satanismus“ Aleister Crowley genannt, wobei dies bei einer näheren Betrachtung angezweifelt werden kann und sich die meisten Anhänger von La Vey – soweit ich weiß – auch selbst von Crowley distanzieren.
Denn einerseits passt zwar der Satz aus dem „Liber Oz“: „Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.“ zum modernen atheistischen Satanismus. Andererseits war Crowley aber ein Mystiker und vieles in seinem Werk bezieht sich z.B. darauf „die Kenntnis und Konversation mit dem heiligen Schutzengel“ zu erlangen. Dies war z.B. auch das Ziel des „Rituals von Abramelin“, welches er in seinem Haus am Loch Ness (Boleskine House) begann, aber ohne Bannung abgebrochen hat, weshalb es seit dem dort spuken sollte: Dämonen zu beschwören um sie sich dann für eine gute Sache dienstbar zu machen. (Siehe die Dokumentation „Aleister Crowley – The Other Loch Ness Monster). Am bekanntesten ist Crowley aber für das Werk „Liber Al (L) vel Legis“, welches er 1904 von einem Geistwesen und Botschafter des altägyptischen Gottes Horus (genau: Hoor-paar-kraat oder Hor-pa-chered, ein kindlicher Aspekt des Horus) „gechannelt“ haben will und damit die neureligiöse/philosophische Bewegung Thelema begründet hat. Das Buch ist ebenfalls sehr mystisch, abstrakt und schwer zu deuten. Es enthält Passagen, die nach Meinung der meisten „Thelemiten“ nicht wörtlich sondern symbolisch zu verstehen sind. Die Kernsätze lauten: „Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern.“ „Tu was du willst sei das ganze Gesetz.“ „Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“
Diese lassen auch eine Menge Interpretationen zu, jedoch hat schon Crowley darauf hingewiesen, dass „Tu was du willst“ nicht für „Tu was dir gefällt“ (auf Kosten anderer) steht sondern dafür, danach zu streben, seinen „wahren Willen“ zu entdecken und danach zu handeln. Dabei wird nach gängiger Interpretation durch „Liebe ist das Gesetz“ klar gestellt, dass der „wahre Wille“ niemals gegen den Willen eines anderen Individuums gerichtet sein kann. Thelema und das Liber Legis beziehen sich nicht auf Satan oder Luzifer, sondern auf altägyptische Götter, wobei diese oftmals nicht als personifizierte Götter, sondern als „Archetypen“ verstanden werden.
Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass es Parallelen aber auch bedeutende Unterschiede zwischen dem „modernen“ (atheistischen) Satanismus und Thelema gibt.
Dann gibt es den theistischen Satanismus, welchem m.E. wiederum unterschiedliche Denkweisen zugrunde liegen können.
Der Ursprung dürfte hauptsächlich in gnostischen Vorstellungen zu suchen sein. Die historische Strömung der Gnostiker war in ihren Vorstellungen ebenfalls sehr unterschiedlich. So ziemlich allen gemein war jedoch z.B. der Gedanke, dass der Schöpfergott des alten Testaments (Jahwe), ein „böser oder unwissender Demiurg“ gewesen sei welcher eine unvollkommene materielle Welt geschaffen hat in welchem der Geist („Pneuma“) in einen materiellen Körper eingekerkert wird.
Die Vorstellung des bösen Demiurgen führte später bei einigen Menschen dazu, den Gegenspieler Luzifer als positive Kraft zu verstehen, welche dem Menschen Wissen und Erkenntnis bringt. Darauf beziehen sich die Luziferianer, welche es heute zum Teil wohl auch noch gibt, z.B. die „Neo-Luciferian Church“.
Andererseits gibt es auch den Gedanken einer „bewussten Hinwendung zum Bösen“. Einige Gnostiker gingen davon aus, dass der Geist sämtlich mögliche Erfahrungen machen müsse um vom materiellen Dasein im Reich des Demiurgen erlöst zu werden (libertinistische Gnosis im Gegensatz zur asketischen). Stanislaw Przybyszewski schreibt dazu in „Die Gnosis des Bösen“:
„ Das entspricht allgemeiner gnostischer Tradition. Satansgnosis ist noch mehr. Nämlich vollbewußtes und gewolltes Eintauchen in die vom Negativen erfüllten Tiefen, aus dem festen Wissen heraus, dass es darin immer noch Positives gibt, und dass nichts zurückgelassen, dass alles gesammelt und aus der Dualität zur Einheit gebracht werden soll. Nur wer mutig ganz hinabsteigt, kommt geläutert hinauf und darüber hinaus.“
Mitunter wird hier auch das Werk des Marquis de Sade ins Spiel gebracht. Er vertritt eine Philosophie des „Ultra-Pessimismus“, er war ein Materialist welcher die Materie gehasst hat und wenngleich er sich stets als Atheist bezeichnete weißt der Autor Pierre Klossowski in „Sade - mein Nächster“ auf die Parallelen zum gnostischen Denken hin und Simone de Beauvoir schreibt dazu in ihrem Essay "Soll man de Sade verbrennen?": "Sades Verdienst ist es nicht nur, mit lauter Stimme verkündet zu haben, was jeder Mensch sich verschämt eingesteht, sondern auch, sich damit nicht abgefunden zu haben. Um gegen die Gleichgültigkeit anzukämpfen, hat er sich für die Grausamkeit entschieden."