Wie weit darf ein Protagonist gehen?


16.01.2020, 19:32

Um meine Frage noch etwas zu präzisieren, sie ist zweiteilig.

  1. Darf/kann/sollte einem solchen Protagonisten vergeben werden? Jemand, der aus Spaß die schlimmsten Verbrechen begangen hat.
  2. Kann man einen solchen Protagonisten ( zu dem man halten soll) überhaupt schreiben, der in seiner Vergangenheit solche Dinge getan hat?

12 Antworten

Es ist eine hohe Kunst, so einen Charakter von Anfang an interessant (Achtung: nicht sympathisch) zu gestalten, aber es ist durchaus möglich. Wenn der Charakter den Leser zum Beispiel dennoch zum Lachen bringt oder interessante Dinge sagt, wird das Interesse des Lesers geweckt. Der Charakter muss nicht direkt von Anfang an sympatisch sein. Häufig sind es sogar die, die am Anfang total unsympatisch waren, die man hinterher zu seinen Lieblingscharakteren zählt. Wichtig ist nur, dass es einen Grund - meistens die gute alte Liebe - für die Veränderung gibt, dass sie im richtigen Tempo vonstatten geht und dass es Rückfälle gibt.

Aßerdem macht auch der Schreibstil des Autors einiges aus. Wenn mir der Schreibstil eines Autors nicht gefällt, können die Charaktere und auch die Geschichte an sich noch so gut sein. Ich werde das Buch dann nicht weiterlesen.

interessante Frage.

Meiner Meinung nach sind „böse Protagonisten“ (ich glaube man nennt sie auch „Antihelden“) ziemlich interessant, weil sie eine gewisse Komplexität voraussetzen, um glaubhaft geschrieben zu werden.

Und wie weit ein solcher Protagonist gehen darf, ist schwer zu sagen, es hängt auch von der Situation ab. In dem Spiel KOTOR (Star Wars: Knights of the old republic) ist der Protagonist gleichzeitig der ehemalige Meister des Hauptantagonisten, nur hat er sein Gedächtnis verloren, weshalb der Spieler eigentlich keinen Grund hat, ihn als böse anzusehen (es sind ja quasi 2 Personae). Ähnlich ist es in Chuck Palahniuk‘s Buch Fight Club. In solchen Situationen kann der Protagonist in seiner Zeit des Bösen so weit gehen wie er will, er wird nie wirklich schuldig sein (auch wenn er sich so fühlt, was einen redemption-arc trotzdem ermöglicht).

Aber jetzt zu der interessanteren Situation, wenn der Protagonist bei Bewusstsein „böses“ tut: Hier kommt es auf den Charakter an. Einem Charakter, der ein gutes Ziel, aber schlechte Mittel hat, verzeiht man eher, als einem Charakter, der alles nur aus Spaß macht. Und ein Charakter, der selbst Opfer von Gewalt ist, wird ggf., wenn gut geschrieben wird, bemitleidet, obwohl er selbst Gewalt ausübt (ich glaube, dass JK Rowling Voldemort so hätte schreiben können, wenn sie gewollt hätte - nur um ein extremes Beispiel zu nennen). Jemand, der alles wirklich ausschließlich zur persönlichen, sadistischen Belustigung macht, bräuchte stattdessen einen sehr gut geschrieben Redemption-Arc, um glaubhaft und gemocht zu werden. Er kann in einer früheren Phase auch gemordet haben - wenn er später erkennt, dass es falsch war und wieso es falsch war, kann der Leser ihm dennoch verzeihen.

Um die beiden Fragen konkret zu beantworten:

1) Abgesehen davon, dass literarische Figuren ziemliche Vogelfreiheit haben: Man kann derartigen Figuren vergeben, wenn sie und ihr redemption-arc gut geschrieben sind. Man darf ihnen vergeben, wenn sie ihre Fehler wirklich einsehen und ausbessern wollen und man sollte ihnen meiner Meinung nach (hierüber streitet man sich) auch vergeben. Vielleicht muss man nicht wirklich vergeben, aber man sollte ihre schlechten Taten akzeptieren als Teil von ihnen und man sollte ihre guten Taten anerkennen.

2) Man kann und man kann ihn sogar so schreiben, dass er während dem Text noch Missetaten begeht, es kommt auf die Fähigkeiten des Autors und den Charakter der Figur an. Es kann im ersten Teil des Texts ein böser Protagonist seine üblen Taten begehen, in der Mitte eine Erleuchtungssituation haben und den Rest des Texts würde der Redemption-Arc einnehmen, wobei der endgültige Höhepunkt des Buches eine Konfrontation des neuen Protagonisten mit seinem alten Selbst/seinen Taten sein sollte. Wäre zumindest mein Vorschlag, aber ich bin mir sicher, dass es anders auch möglich ist.

Falls es sich hier um eine Geschichte handelt und der Prota am Anfang durch und bei bestimmten abschreckenden Taten gezeigt wird, entsteht beim Leser sehr schnell eine Antipathie der Figur gegenüber. Das Problem dabei ist, wenn er z.B. grundlos mordet oder aus Spaß vergewaltigt, dann legt der der Leser das Buch sehr schnell aus der Hand. Durch NICHTS wirst Du einen solchen Charakter dem Leser danach wieder sympathisch machen können.


ThanatosBell 
Fragesteller
 16.01.2020, 19:30

Was, wenn das die Vergangenheit des Protagonisten ist und er jetzt nach Vergebung sucht.

Darf/sollte ihm vergeben werden?

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burpie  16.01.2020, 19:34
@ThanatosBell

Kennst Du Actionfilme wie "The Equilizer" oder "John Wick"? Dort funktioniert die Gewalt und das Töten, weil die Figuren sympathisch dargestellt und deren Handlungen für den Zuschauer nachvollziehbar sind. Das Problem ist, warum will Dein Prota Vergebung? Was hat ihn an diesen Punkt gebracht? Und warum war er früher grausam?

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ThanatosBell 
Fragesteller
 16.01.2020, 19:44
@burpie

Es ist nicht mein Protagonist, ich bin nur über das Buch gestolpert.

Darin ist der Protagonist ein ehemaliger Tyrann, der wegen 28 000 000 Morde und über 400 Vergewaltigungen beschuldigt wird.

Und so weit ich es herauserfahren konnte ( habe es nicht gelesen), hat er sich, nachdem er vom Thron gestoßen wurde, für 20 Jahre versteckt und seine Schuld realisiert.

Und dann setzt die Handlung des Buches ein und es ist im Kern eine "Redemption-Story"

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FinFin457  16.01.2020, 19:45
@ThanatosBell

Er sollte auf jeden Fall darum kämpfen müssen. Ob ihm am Ende vergeben wird hängt von deiner Geschichte ab. Wenn es generell eine Geschichte ist, in der viel negatives passiert, dann sollte ihm nicht vergeben werde... daraus entwickelt sich ja auch irgendwie der Plot. Ist es eine typische, gute Story mit happy end, dann kann er Vergebung bekommen.

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ThanatosBell 
Fragesteller
 16.01.2020, 19:49
@FinFin457

Er scheint die Welt zu retten.

Allerdings wird er gegen Ende auch vor Gericht gestellt (daher die genauen Zahlen) und scheint mit dem Leben davon zu kommen. Mehr noch, eins seiner ehemaligen Vergewaltigungsopfer ist seine Gefährtin auf der Reise geworden, unwissend, dass er er ist und anscheinend hasst sie ihn nicht abgrundtief. Aber wie gesagt, das ist alles unsicher.

Hier mal der Link zum Buch. Dann kannst du dir selbst ein Bild machen, wenn du magst. Ist allerdings auf Englisch.

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FinFin457  16.01.2020, 19:53
@ThanatosBell

Ok, danke. Allgemein finde ich 28000000 Morde trotzdem ziemlich viel... weiß nicht, ob das dan so glaubwürdig ist. Klar, erlaubt ist beim Schreiben alles, es klingt nur wirklich viel...

Ich sehe mir mal kurz den Link an... die Zusammenfassung klingt aber schon nach einer guten Geschichte

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SacreVacheSacre  16.01.2020, 20:02
@FinFin457

Muss ja nicht direkt sein, siehe Hitler.

Das Problem dabei: Es sind Zahlen, deswegen fällt es dem Leser leicht das zu vergeben. Auch wenn in der Zeitung steht, dass x Flüchtlinge ertrunken sind, weckt das unsere Empathie nur teilweise auf - es sind nur Zahlen.

Aber wenn man dabei wäre, während die Flüchtlinge ertrinken; oder wenn der Tyrann in eins seiner ehemaligen Vernichtungslager geht, dann wird’s schwerer zu vergeben

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Midnight1999  16.01.2020, 20:17

Das würde ich nicht unbedingt sagen.

Es ist eine hohe Kunst, so einen Charakter von Anfang an interessant (Achtung: nicht sympathisch) zu gestalten, aber es ist durchaus möglich. Wenn der Charakter den Leser zum Beispiel dennoch zum Lachen bringt oder interessante Dinge sagt, wird das Interesse des Lesers geweckt. Der Charakter muss nicht direkt von Anfang an sympatisch sein. Häufig sind es sogar die, die am Anfang total unsympatisch waren, die man hinterher zu seinen Lieblingscharakteren zählt. Wichtig ist nur, dass es einen Grund - meistens die gute alte Liebe - für die Veränderung gibt, dass sie im richtigen Tempo vonstatten geht und dass es Rückfälle gibt.

Aßerdem macht auch der Schreibstil des Autors einiges aus. Wenn mir der Schreibstil eines Autors nicht gefällt, können die Charaktere und auch die Geschichte an sich noch so gut sein. Ich werde das Buch dann nicht weiterlesen.

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SacreVacheSacre  16.01.2020, 21:47
@Midnight1999

Oh Gott, nicht Liebe! ^^

Es ist ein bisschen ausgelutscht, wie wäre es mit Selbstfindung oÄ, das würde auch gut die Gesellschaft reflektieren (gibt dann auch Bonuspunkte bei den Kritikern :P)

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So weit wie der Protagonist es für nötig hält. Kommt auch auf die Story an und ob es einen Plot-Twist geben soll oder nicht.

Gruß

Der protagonist in Rdr2......nein ich spoiler nicht


bansaighdear  16.01.2020, 19:25

Und dafür bin zumindest ich dir dankbar! 👍

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