Wie lief "damals" die Wehrpflicht ab?

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  1. Wenn er keinen diagnostizierte Einschränkung, wie eine geistige oder körperliche Behinderung hatte, musste jeder junge Mann zur Musterung, ausgenommen Personen die bei der Polizei dienten (wahrscheinlich auch Feuerwehr), oder zb. ein hohes geistliches Amt bekleideten.
  2. Dort erhielt er eine Tauglichkeitseinstufung, nach der sich die Optionen richteten, die für seine Weiterverwendung in der Bundeswehr vorhanden waren. Man konnte auch den sog. Wehrersatzdienst/Zivildienst leisten, in dem man sich dem Kriegsdienst verweigerte. Meine Bekannten, die Zivildienst machen wollten, mussten sich aber trotzdem der Musterung unterziehen.
  3. In der Grundausbildung: Morgens um 5Uhr Wecken, Bett bauen, Frühsport, Körperpflege, Frühstücken und dann Ausbildung oder ins Einzugsgebiet fürs Gefechtstraining. Wenn man auf dem Kasernengelände blieb, wurde irgendwann zu Mittag gegessen und es ging weiter mit der Ausbildung. Gegen 17 Uhr war bei uns, zumindest regulär, Freizeit (ging aber auch oft bis 21 Uhr), dann Abendessen, anschließend Stuben und Revierreinigen (das hat sich grad in den ersten Wochen oft bis 1 Uhr Nachts gezogen. 2 Mitglieder des Zuges mussten den UVD für die Nacht stellen, meist jeweils einer die halbe Nacht.

Nach der Grundausbildung war Dienstbeginn meist um 6:30 oder 7Uhr, vorher Hygiene, Frühstück und Appell.

9:30 Natopause (war nicht verpflichtend)

Irgendwann Mittagspause, wobei in meiner Position immer einer am Telefon des Bataillonskomandeures sitzen musste, der hat dann später zu Mittag gegessen.

16:45 oder 17 Uhr war meistens Feierabend.

Jeden Freitag war bei uns AMILA 20 oder 30km. Wer vom 30er vor Dienstende zurückkam (13:00) durfte eher nachhause, so er keinen Wochenenddienst hatte.

Zu meiner Zeit betrug die abzuleistende Zeit nur noch 11 Monate, war aber mal viel länger.


NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 19:41

Erstmal vielen Dank für die seeeehr ausführliche Antwort. Stern hast du sicher. Dumme frage, aber warum wurden nur Männer eingezogen. Dachte Gleichberechtigung ect. wird immer so groß geschrieben, dann warum kein gleiches Recht für alle, also auch die jungen Frauen ? o.O Finde ich schon etwas bescheiden. Immer müssen die Männer die Drecksarbeit machen.. "Gleichberechtigung".

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FresherKnilch  12.11.2019, 19:59
@NoPagadi

Naja, das kann man sehen wie man will. Zum einen haben Frauen ja sowieso schon mit Einkommensausfällen zu rechnen, wenn Sie die Hauptlast der Familienplanung tragen müssen, da wäre eine Wehrpflicht noch unfairer.

Zum Anderen glaube ich, dass keine Armee der Welt eine Wehrpflicht für Frauen hat, auch wenn in vielen Armeen Frauen dienen. Soweit ich weiß, aber immer freiwillig.

Zum Ende meiner Dienstzeit kamen übrigens überhaupt erst die ersten Frauen zum Dienst an der Waffe. Vorher waren Frauen "nur" als Sanitäterinnen im Einsatz.

Die Wehrpflicht wurde zum Teil auch wegen dieses als unfair empfundenen Zustandes abgeschafft. Allerdings nicht vordergründig deswegen.

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NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 20:02
@FresherKnilch

Findest du es schade, dass die Wehrpflicht "ausgesetzt" wurden ist? / War es bei der Bundeswehr eine schöne Zeit, oder warst du froh, als du wieder weg warst?

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FresherKnilch  12.11.2019, 20:23
@NoPagadi

Die Grundausbildung war heftig. Alle meine älteren Kollegen hatten mir erzählt, dass das sowieso nur noch Pillepalle wäre und die die Rekruten nicht mehr schinden dürften etc.

Aber dann stellte sich mein Spieß als HFW Nickodemus vor, und meinte, die Bundeswehr sei verweichlicht, und er wolle an uns ein Exempel statuieren.

Naja das hat er dann auch getan. Wir haben ständig Leute gehabt, die sich vor Sauerstoffmangel übergeben haben, teils in Ihre Gasmasken gereiert haben.

Andererseits hats uns zusammengeschweißt, und grad die Manöverübungen haben mit dem Hauptfeldwebel echt Spaß gemacht. Soldaten aus seinem Zug waren immer sehr beliebt bei anderen Dienststellen.

Nach der Grundausbildung wars dann echt locker. Ich kam aus Sachsen, musste in Amberg (Bayern) dienen. Das heißt, wir konnten, wenn überhaupt, nur am Wochenende nachhaus. Da hat man viel Zeit mit den Kameraden verbracht.

Zudem hatte ich noch nen wirklich tollen Job ergattert. War schon irgendwie traurig, als die Zeit rum war. Aber ich bin in der Zeit eben auch an den Rand des Ruins geraten. hatte vorher 2600 DM verdient, mein Leben entsprechend ausgerichtet, und musste dann mit 450 (480 als Standortfremder) DM auskommen. Das hat schon die Rate für mein Auto aufgefressen.

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FresherKnilch  12.11.2019, 20:25
@FresherKnilch

Achso..eines gäbs noch. Mein Schwager wurde vom Wehrdienst frei- oder zurückgestellt, weil schon 3 seiner 4 Brüder Ihren abgeleistet hatten.

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NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 20:30
@FresherKnilch

Läuft bei ihn..^^. Danke dir. Wirklich. Sehr sehr interessante Einblicke. Ich finde es mittlerweile etwas schade das es ausgesetzt wurden ist. Denke sowas ist gerade für ein jungen Menschen eine sehr kostbare Erfahrung. Einmal im Leben an seine körperliche Grenzen zu gehen und darüber hinaus. Dazu mit seinen Kameraden durch Dick und Dünn gehen. Denke man reift auch während der Zeit sehr stark.

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FresherKnilch  12.11.2019, 20:47
@NoPagadi

Ja. Mir sagt man auch nach, dass die Armee mir gut getan hat. ^^

Hab dort Krawatte binden gelernt, mein Vater lernte in der NVA das Tanzen :)

Wäre sicher eine gute Sache, im Endeffekt auch billiger für die Bundeswehr. Allerdings läuft es halt dem Kapitalismus zugegen, wenn jedes Jahr einige hunderttausend junge Arbeitskräfte praktisch unproduktiv werden.

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Nardo622  31.12.2019, 03:38

Hallo ich hätte eine frage ich bin 18 Jahre alt. Zu meiner zeit gab es keine Wehrpflicht, angenommen sie wird in der Zukunft wieder eingeführt. Muss ich diese auch absolvieren?

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FresherKnilch  31.12.2019, 12:34
@Nardo622

Das kann ich dir nicht sagen. Früher war das maximale Einzugsalter, wenn ich mich recht erinnere, 26Jahre. Also laut dem müsstest du dann natürlich.

Das wäre aber gar nicht schlimm. Ist easy geworden, und es war auch für mich damals eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. So einen lustigen Haufen an Kameraden hab ich nie wieder in meinem Leben um mich scharen können.

Wenn dir der Dienst an der Waffe aber nicht liegt, könntest du auch entsprechend einen zivilen Dienst ableisten. Das ist dann auf jeden Fall Heimatnah. (Wehrpflicht nicht unbedingt).

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Vieles haben Dir die anderen hier schon beantwortet. Nur noch ergänzend:

Ja, zur Musterung (hieß eigentlich "Tauglichkeitsprüfung", später "Eignungsfeststellung") mußte jeder.

Zivildienst ("Wehrdienstverweigerung") war zu Anfangszeiten der Bundeswehr bis weit in die 80er Jahre nur sehr schwer durchzusetzen, da der Bedarf an Soldaten (bzw. ausgebildete Resevisten) sehr groß und das Ansehen der "Zivis" sehr schlecht war. Ende der 90er Jahre war die Friedensstärke der Bundewehr noch rund 450 000 Mann (heute 180 000), die Aufwuchsfähigkeit im Verteidigungsfall sollte kurzfristig auf rund 750 000 Mann sein, und die mußten ja irgendwo herkommen.

Die "Gewissensprüfung", die ein Verweigerer durchlaufen mußte (das war der einzige Grund, der anerkannt wurde, z. B. aus Glaubensgründen), war sehr streng und oft durchaus fragwürdig. Aber auch hier haben sich im Laufe der Zeit die "Tricks" rumgesprochen. Das änderte sich erst im Laufe der 90er Jahre, als die Bundeswehr immer mehr schrumpfte, und irgendwann gar nicht mehr so viele Wehrpflichtige einziehen konnte, wie ein Jahrgang hergab. Ab ungefähr Anfang der 2000er Jahre, als mit der "Struck-Reform" die Bw nochmal verkleinert und auf Schwerpunkt Auslandseinsätze umgebaut wurde, begann die Zeit, ab der man faktisch Wahlfreiheit hatte. Auch die Wehrdienstzeit wurde dann von 15 Monaten (Zeitweise 18 Monate) auf 12 Monate verkürzt. Dies alles führte letztendlich zur Aussetzung der Wehrpflicht, zumal auch deren ständige Ausbildung mehr Mittel und Personal band, als sie nutzten. Die Frage, welche Resevisten im Falle eines Falles denn ohne Wehrpflicht noch eingezogen werden sollen, bleibt offen. Aber wir sind ja von Freunden umgeben...

Nach der 3-Monatigen Grundausbildung (die viele als die härteste Zeit empfanden), wurden die Wehrpflichtigen ihrer Stammeinheit zugeteilt, zu der sie auch im Kriegsfall eingezogen worden wären. Hier wurden sie dann weiter für ihre spezielle Tätigkeit ausgebildet, leisteten Dienst und nahmen an Übungen teil. Das konnten ganz unterschiedliche Tätigkeiten sein, vom Kämpfer über Techniker bis hin zum Logistiker. Je nachdem, wo man eingesetzt war, konnte die Restdienstzeit durchaus anspruchsvoll und anstrengend, bis hin zu todes-langweilig sein, je nachdem, wie qualifiziert man für eine bestimmte Tätigkeit sein muß (Wehrpflichtige waren i. d. R. Mannschaftsdiensgrade, viel Zeit war ja nicht für Ausbildung), wieviel Arbeit in der jeweiligen Einheit anlag bzw. wie gut personell diese ausgestattet war.
"Meine" Wehrpflichtigen haben nie über Langeweile geklagt, wir hatte nicht viele Soldaten und die mußten immer "mit ran". ;-)

PS: Die Feldjäger haben einen Fahnenflüchtigen, wenn sie ihn aufgegriffen haben, lediglich zur Truppe zurückgebracht. Für Strafen ist ggf. der Disziplinarvorgesetzte oder das Truppendienstgericht zuständig.
Senge gabs (und gibts immer noch ;-) nur für diejenigen, die glaubten, sich mit ihnen körperlich anlegen zu müssen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 20:08

Sehr interessante Einblicke. Ich habe mir bei Youtube "Die Rekruten" angesehen und fand das gar nicht mal so schlecht was die da gemacht haben. Ich glaube meinem 18 Jährigen Ich hätte eine Wehrpflicht sehr gut getan, auch er es damals anders gesehen hätte. Ich denke während so einer Zeit reift man sehr stark. Finde es mittlerweile schon etwas schade das es abgeschafft wurden ist. Aber eine Frage an Sie, da Sie ja in der Materie sind. Warum zum Teufel gab es keine Wehrpflicht für junge Frauen? Warum nur für junge Männer. Immer von Gleichberechtigung reden, aber wenns Ernst wird..? Gibts dafür logische Gründe keine Frauen einzuziehen?

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pendejo  12.11.2019, 21:05
@NoPagadi

Danke. Ihr Eindruck täuscht sie nicht. ALLE Wehrpflichtigen, die ich am Ende ihres Dienstes befragt habe, sagten (unabhängig davon, ob sie ihren Dienst für sinnvoll oder weniger sinnvoll befanden), daß sie ihr Dienst bereichtert hat und sie ihn nicht bereuen. Man ist mal (zwangsweise) weg vom gewohnten Dunstkreis, wird an seine Grenzen geführt (das war zumindest früher so :-), lernt Menschen aus allen sozialen Schichten und unterschiedlichsten Gegenden Deutschlands kennen und schätzen. Man wohnt mit mehreren zuächst völlig Fremden auf engstem Raum. Schlamperei, Rücksichtslosigkeit, Unzuverlässigkeit wird sofort (oft auch direkt von den Kameraden) sanktioniert. Das prägt schon ein Stück weit, zumindest die meisten.

Warum es keine Wehrpflicht für Frauen gibt? Weil davon nichts im Grundgesetz steht (Art. 12a) und dies zu ändern bisher weder Diskussion noch Mehrheitsfähigkeit bestand.

Das hat aber auch ein paar pragmatische Gründe:

a) Frauen sind meist nicht so stark körperlich belastbar.
b) Verstümmelte und tote Frauen belasten die Moral der eigenen Truppe noch mehr, als das männl. Kameraden tun (meine pers. Meinung).
c) Ein Gegner, der weiß, daß er gegen Frauen kämpft, kämpft angeblich härter (Erfahrung Israels, man(n) will sich nicht von Frauen besiegen lassen).
d) Wie (er)gehts wohl Frauen in Gefangenschaft?
d) Irgendjemand muß sich eh um Kinder, Haus, Hof und Produktion von Nachschub und Versorgung an der "Heimatfront" kümmern.
d) Und dann gibts noch einen knallharten, evolutionären Grund: Ausschließlich Frauen gebären Kinder, Männer sind daher leichter ersetzbar. ;-)

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NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 21:12
@pendejo

Danke. Für die Ausführlichkeit und die Einblicke ins Wehrpflichtleben. Wirklich höchst interessant und aufschlussreich. Ich habe jedenfalls (auch gerade wegen des schauens von "Der Rekruten") sehr viel Respekt vor unseren Frauen und Männern in Uniform. Leider die Politik nicht so, wenn man sieht, wenn die immer wieder als Verteidigungsminister einstellen. Warum zum Teufel müssen das überhaupt Politiker sein? Ein parteineutraler General würde für die Aufgabe viel besser passen. Auch die Knausrigkeit mit dem Budget geht mir dezent auf die Nerven. Hoffentlich setzt sich Trump durch und die Bundeswehr wird bald mal wieder etwas "Zucker" kriegen. Zeit wirds. NATO will 2% BIP im Jahr sehen. Die Bundeswehr kann das Geld sehr gut gebrauchen. Gerade auch in dieser politisch instabilen Lage.

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pendejo  12.11.2019, 21:49
@NoPagadi

Ihre Zeilen erfreuen das Herz eines alten Soldaten.
Es ist durch die permanente Mängelverwaltung, die ständigen Umstrukturierungen (seit 30 Jahren mündet eine Strukturreform in die nächste) und wenn man mit den daraus resultierenden Unzulänglichkeiten tagtäglich konfrontiert wird, mitunter schwer, nicht irgendwann abzustumpfen und zu resignieren, zumal man den Eindruck erhält, es interessiert außerhalb der Bundeswehr eh keinen Menschen ernsthaft.

Die Führung durch Minister (bzw. im Verteidigungsfall durch den Bundeskanzler) ist der Geschichte geschuldet. Man will keinen "Staat im Staate". Grundsätzlich ist das ja gut so, und es gäbe auch sicher genug fähige Politiker (mit militärischer Erfahrung, bis hin zu Ex-Generälen) für diesen Posten, doch er scheint mir zunehmend zum Beschäftigen von mißliebigen Parteigenossen oder pragmatischen Schleudersitz für potentiell gefährliche Kanzlerin-Konkurrenten/-tinnen mißbraucht zu werden.
In unserer Konstellation haben aktive Generäle leider nicht allzuviel zu melden. Die Chefs sind der/die Minister(in), ihre Staatssekrätäre und ihr Stab. Und die denken politisch und in Legislaturperioden.

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NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 22:03
@pendejo

Das ist leider das Problem und das lösen Länder, wie Russland, China und die USA so viel besser. Da muss jeder Verteidigungsminister einen militärischen Hintergrund haben. Dieser Spott den die Soldaten, wegen nicht funktionierter Ausrüstung sich immer anhören müssen, ist nicht das Verschulden dieser Soldaten, oder deren Vorgesetzten, sondern eines Todsparens von der Bundespolitik in meinen Augen. Die Bundeswehr bräuchte 50-60 MRD € im Jahr um ordentlich zu funktionieren. Damit man endlich wieder gutes und funktionales Kriegsgerät zur Verfügung hat. Nur leider hat man das alles vernachlässigt und zurück gefahren und weshalb? "Weil der große Bruder USA uns immer beschützen wird, IMMER !" Man sieht ja das die USA kein Interesse mehr haben "Weltpolizist" zu spielen. Trump ist da nicht alleine. Ein Bernie Sanders, oder Elizabeth Warren sehen das sehr ähnlich. Die Zeiten, in denen die USA für "Weltfrieden" gesorgt haben, sind ein Stück weit vorbei. Es wird endlich Zeit gegen zu lenken. Und wenn das heißt 50-60 MRD im Jahr für die Bundeswehr, dann so sei es. Auch eine europäische Armee wäre ein Interessantes Unterfangen. Denn seien wir mal ehrlich. Würden alle EU Länder ihre Armeen zu einer großen Armee bündeln, würde diese sogar die USA in der Stärke fast Paroli bieten, wenn nicht sogar stärker sein. Zeit für ein Umdenken !

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pendejo  13.11.2019, 21:33
@NoPagadi

Den Ersten Teil Ihres Beitrags sehe ich wie Sie, ich gehe sogar weiter: Zumindest auf technischer Ebene kann ich mitreden: Der Laden läuft nur deshalb noch so, wie er gerade Läuft, augrund des unermüdlichen Einsatzes und Improvisationsvermögens der Beteiligten...

Die Gründe, warum es so ist, wie es ist, liegen aber tiefer.
Zunächst hatten die NATO-Staaten/die USA während des Kalten Krieges ein handfestes Interesse, "uns zu beschützen": Das Schlachtfeld wäre maßgeblich Deutschland gewesen, weil hier die Konfrontationslinie verlief. Motto: "Besser die, als wir". Mit Abzug der Roten Armee aus der ehem. DDR, Zerfall der Sowietunion, Ende des Warschauer Paktes schwand auch das Interesse der USA an Europa, ein Großteil der US-Truppen zog Mitte der 90er Jahre aus Deutschland ab.

Mit Wegfall der gefühlten unmittelbaren Bedrohung schwand auch das Interesse der Öffentlichkeit an der Bundeswehr. Beispiel: Die "Starfighterkrise" mitte der 60er Jahre, als technische Mängel zu zahlreichen Abstürzen und Einschränkgungen in der Einsatzbereitschaft führten, wurde noch als Bedrohung der Nationalen Sicherheit wahrgenommen. Heute wird sich über mangelnde Einsatzbetreitschaft von Gerät schlimmstenfalls lustig gemacht und achselzuckent zur Tagesordnung übergegangen.
Der Umstand, daß der Etat und die Stärke der Bundeswehr eklatant zusammengestrichen wurde, ist der Tatsache Geschuldet, daß die Politik Verlust von Wählerzustimmung befürchtete. Der Bürger sieht seither im Schnitt Geld halt lieber in "Gemeinnützige" Ausgaben investiert, als in "nutzlose" Verteidigung.
Bezeichnend für den Gemütszustand der Deutschen, daß um ein paar Mrd. mehr im Verteidigungsetat hart gerungen und diskutiert werden muß, während Zusatzausgaben von rund 30 Mrd. pro Jahr seit 2015 für "Geflüchtete" für keinerlei öffentliche Aufregung sorgen...
Letztendlich ist eine Diskussion überfällig, ob man überhaupt noch Verteidigungsfähigkeit will, und in welchem Maße diese gegeben sein soll. Dann erst kommt die Frage, was dies dann kostet.
Eine "Europäische Armee" sehe ich sehr kritisch. Hat aus Kosten- und Schlagkräftigkeitsgründen einen gewissen Charme, doch wem ist diese dann unterstellt, wer bestimmt deren Einsatz und Einsatzziele? Und für wessen Interessen? Sie sollten bedenken, daß innerhalb der EU-Staaten z. T. sehr unterschiedliche Mentalitäten bezüglich der "Hemmschwelle" und möglichen Zielen zum Einsatz ihrer Armeen bestehen, und je diffuser Verantwortung ist, desto höher ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen...
Sollte die NATO irgendwann scheitern, hielte ich ein Europäisches Verteidigungsbündnis für sinnvoll, und auf europäischer Ebene finden auch schon Kooperationen statt, wie zum Beispiel das "EATC" zur Koordinierung von Lufttransportkapazitäten. Auch teure Rüstungsvorhaben finden zunehmend in Konsortien mehrer Nationen statt, um die Entwicklungskosten zu teilen und Kompetenzen zu bündeln.
Grundsätzlich sollte jedoch m. E. die Streitkräfte in nationaler Verantwortung bleiben.

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NoPagadi 
Fragesteller
 13.11.2019, 22:44
@pendejo

"daß innerhalb der EU-Staaten z. T. sehr unterschiedliche Mentalitäten bezüglich der "Hemmschwelle" und möglichen Zielen zum Einsatz ihrer Armeen bestehen"

Das ist halt leider auch das Problem der EU. Wir leben in vorsichtig gesagt sehr schwierigen Zeiten in der EU. Großbritannien kurz vorm Austritt, in Italien wartet ein Rechtsnationaler Salvini und sein potenzieller neofaschistischer Koalitionspartner "Brüder Italiens" auf die Machtergreifung, viele osteuropäische Länder sind jetzt schon in Rechtsnationaler Hand und Frankreich? Macron war so etwas, wie die letzte Hoffnung für die EU. Ein Mann der etwas verändern wollte. Die EU voran bringen. (Natürlich mit Frankreichs Interessen im Blick) Man hat ihn fallen lassen. Laut neusten Umfragen steht eine Le Pen nur noch 5 % hinter Macron in einer möglichen 2. Runde der nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Ich vermag nicht zu sagen, dass es die EU (wie wir sie kennen) in 10 Jahren so noch geben wird. Da war meine Idee der europäischen Lösung vllt. wirklich zu naiv. Es ist halt aktuell politisch extremst schwierig. Gefühlt radikalisiert sich alles. Die Gesellschaften, die Parteien, immer mehr Konflikte und immer weniger Dialog und Verständnis. Gerade in diesen Zeiten halte ich es einfach für unglaublich wichtig ein starkes Militär zu besitzen, dass im Notfall auch ein Land verteidigen kann. Dafür sind die Zeiten aktuell einfach zu brisant, auch wenn es unsere Politiker noch nicht spüren. Ich denke aber das es in der deutschen Bevölkerung mittlerweile ein Umdenken gibt. Gerade wegen diesen schwierigen Zeiten. Ein höheres Budget fürs Militär lässt sich heute noch eher durchsetzen, als noch vor ein paar Jahren. Denke gerade wegen der Aktionen von Trump in Syrien (lässt einfach die Kurden im Stich (Wobei man hier auch sagen muss, dass er das schon im Juni glaube angekündigt hat und die deutsche Regierung aufgefordert hat, Bodentruppen nach Nordsyrien zu verlegen)). - Sollten jedoch die Grünen die nächste Bundestagswahl gewinnen, dann sehe ich noch mehr schwarz, als ich es jetzt schon tue. Ein Wladimir Putin muss sich im Kreml wirklich kaputtlachen was "im Westen" gerade alles so von statten geht.

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pendejo  14.11.2019, 19:12
@NoPagadi

Ja, die EU steckt in einer Krise. Die Grundsatzfrage, die nach dem Austrittsbeschluss von GB zeitweise Angerissen wurde, wie es mit der EU in Zukunft weitergehen soll (weitere Zentralisierung => "Vereinigte Staaten von Europa" (was aus meiner Sicht nie funktionieren wird, aber das ist ein anderes Thema) oder ein Bund von Nationalstaaten), ist immer noch offen und wurde auch nie ernsthaft diskutiert. Man macht einfach weiter wie gehabt, und wundert sich, warum rechte Parteien in vielen EU-Staaten immer stärker werden. Macron sehe auch ich ambivalent. Er profitiert, insbesondere hierzulande, von seinem Charme und Charisma, ein großer Europäer war er aber auch bei genauerem Hinsehen nur immer dann, wie Sie richtig erkannt haben, wenn es französichen Interessen diente. Er war übrigens in Frankreich nie so beliebt wie hierzulande.

Ja, es radikalisiert sich alles. Daran ist aber die Politk selbst schuld, sowohl in Deutschland, als auch auf EU-Ebene, weil offensichtliche und sich anbahnende Probleme und kontroverse Meinungen dazu jahre-, wenn nicht jahrzehntelang einfach wegignoriert wurden. Wenn der Druck im Kessel zu groß wird...

Ein starkes Militär halte ich ebenfalls für wichtig, als "Lebensversicherung" (die schließt man auch nicht ab, weil man fest damit rechnet, früh zu sterben) und als "Meinungsverstärker", weil man auf internationalem Parkett sonst nicht ernst genommen wird, egal, wie groß die Wirtschaftskraft ist. Si vis pacem para bellum, wie der Römer schon sagte.

Was Auslandseinsätze der Bundeswehr betrifft, habe ich meine eigene Meinung. Da ich den Rahmen hier nicht sprengen will, nur kurz dazu:

Wenn schon, dann deshalb, weil Deutschland ein handfestes Interesse an dem jeweiligen Einsatz hat, und mit einem klar definierten Ziel und konkreten Vorstellungen, wie das zu erreichen ist. Und nicht, weil uns ein "Freund" oder "Partner" ein Stöckchen hinhält, über das wir artig springen, damit uns alle nett finden (das war jetzt bewußt drastisch, aber anschaulich formuliert).

Hierzu ist aber aus meiner Sicht eine Grundsatzdiskussion und, sollte ein Einsatz auch zur Verteidigung von "Deutschen Interessen" dienen, eine Grundgesetzänderung vonnöten (eigentlich eine Volksabstimmung, aber hierzulande will man das ja nicht), denn im Grundgesetz steht bisher: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." (Art 87a).

Die bisherigen "Out-Of-Area-Einsätze" wurden bisher mehr schlecht als recht mit Art. 24 "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen". Ob nun Deutschlands Sicherheit "auch am Hindukusch verteidigt" wird, wie Peter Struck, der damalige Verteidigungsminister, 2002 schlicht konstatierte, sei dahingestellt, Koalitionen wie ISAF, KFOR/SFOR oder MINUSMA (Mali), ganz abgesehen von deren Sinnhaftigket, als "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit" zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht an den Haaren herbeigezogen.

Mei, was soll ich zu den Grünen sagen. Deren Erfolg ist letzendlich dem Geschuldet, was die Wähler als unsere dringendesten und existentiellen Probleme betrachten. Dazu fällt mir das Zitat eines französichen Staatsmannes um 1800 ein: "Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient".

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NoPagadi 
Fragesteller
 14.11.2019, 19:45
@pendejo

Ich könnte das Gespräch mit Ihnen wirklich noch über Tage führen. Ich will mich einfach mal sehr herzlich bedanken für ihre fachkundigen und seeehr ausführlichen Antworten. Sowas ist auf GuteFrage.net wirklich eine große Seltenheit. Macht wirklich Spaß mit Leuten zu reden, die auch wirklich mal Ahnung haben, von dem wovon sie reden. Vielen Dank ! :-)

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pendejo  16.11.2019, 13:54
@NoPagadi

Gerne, und vielen Dank für die Blumen.
Auch mir macht es Freude, wenn insbes. junge Leute sich für politische Themen interessieren, sich dazu informieren wollen und eigene Gedanken dazu entwickeln, gleichzeitig aber offen für die Meinungen und Argumente anderer (auch Lebenserfahrenerer)sind, was ja nicht heißt, daß man sie übernehmen muß. Da nehme ich mir gerne mal Zeit für eine ausführliche Erläuterung.
Sehr viele Mitdiskutanten hier reagieren, wenn sie nicht das lesen, was in ihr Meinungsspektrum passt, aggressiv, herablassend, beleidigend und/oder belehrend. Schade eigentlich, in einer Demokratie sollte es möglich sein, völlig unterschiedlicher Meinung zu sein und sich trotzdem zu respektieren, wenn diese Meinungen wohlbegründet sind, aber da sind wir Deutschen wohl noch ein Stück entfernt davon.
Alles Gute auf Ihrem weiteren Weg, und machen Sie weiter so! :-)

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Du hast ein Schreiben bekommen und musstest wählen ob du Zivil oder Wehrdienst machst. Hast du dich für Wehrdienst entschieden bekamst du eine Musterung. Dabei wurdest du nackt beäugt seh und hörtest und wurdest dann in tauglichkeitsgrade unterteilt. Dann hat man Dir irgendwann gesagt wo du Dienst. Luftwaffe Marine Heer. Einer ist nach dem Wochenende nicht mehr gekommen und war wochenlang untergetaucht. Du kannst während du im Wehrdienst warst einen kdv Antrag stellen (kriegsdienstverweigerungsantrag) die Bearbeitung dieses Antrags hat aber oft sehr lange gedauert so dass du frühestens erst nach dem Abschluss deiner allgemeinen Grundausbildung gehen durftest und die aga war das härteste am ganzen Wehrdienst. Besagter kamerad ist Aufjedenfall untergetaucht und die feldjäger haben ihn gesucht. In seiner Stadt haben sie ihn im Einkaufszentrum gefunden. Nach einer Verfolgungsjagd war er mit gebrochenem Bein wieder zurück bei uns und musste die aga wiederholen. Bei der Verfolgung hatten sie ihm ein Bein gebrochen, das war die Konsequenz wenn du stiften gegangen bist .


lesterb42  12.11.2019, 19:34
Bei der Verfolgung hatten sie ihm ein Bein gebrochen, das war die Konsequenz wenn du stiften gegangen bist .

Sicherlich nicht.

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ponter  12.11.2019, 19:55

"Bei der Verfolgung hatten sie ihm ein Bein gebrochen, das war die Konsequenz wenn du stiften gegangen bist"

Hmmm...für den Käse hat es 2 Likes gegeben....?

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GavinG  12.11.2019, 21:59
@ponter

Ich finde es lustig. Es ist mir während meinem Wehrdienst passiert. Der Kamerad mit dem gebrochenen Bein war in meiner Stube. Er hat mir die Geschichte so erzählt und auch warum er stiften gegangen ist und wie ihm die feldjäger beim flüchten das Bein gebrochen haben. Das alles ist mir life passiert. Ich verstehe nicht wie da Leute behaupten können das wäre nie passiert. Es ist so passiert das war im Jahr 2004 auf 2005

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ponter  13.11.2019, 06:55
@GavinG

Wenn die Feldjäger ihm das Bein gebrochen haben, ist davon auszugehen, dass diese sich dafür verantworten mussten. Das dürfte weitreichende Konsequenzen nach sich gezogen haben. Abgesehen davon, dass der Beinbruch zur Dienstunfähigkeit geführt hätte, zumindest bis zur Ausheilung.

Ansonsten wäre das alles Mumpitz.

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GavinG  13.11.2019, 11:43
@ponter

Was soll es da für Konsequenzen gegeben haben für die? Er ist weg gerannt und beim Rennen haben sie ihn zu Fall gebracht. Beim hinfallen ist das Bein gebrochen. Sie haben ihm nicht mit einem Karate Kick das Bein gebrochen, es ist eben bei der Flucht passiert. Natürlich hatte er Zeit bekommen damit das ganze abheilt aber ist ja auch egal die aga musste von vorne gemacht werden und das Bein war gebrochen

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ponter  13.11.2019, 14:30
@GavinG

In dem Fall hätte es Ermittlungen in Richtung der Feldjäger gegeben, ohne wenn und aber.

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  1. Ja, gemustert wurde jeder. Allenfalls massive gesundheitliche Beeinträchtigungen, die via Attest nachzuweisen waren, führten gleich zur Untauglichkit. Aber grundsätzlich musste da jeder antreten. Wer da nicht erschien, machte sich u.U. einer Ordnungswidrigkeit strafbar. Im Wiederholungsfall war das möglicherweise auch strafbar...
  2. Jeden stand die Möglichkeit offen, den Wehrdienst zu verweigern. Lange Zeit musste man dabei seine Gründe vor einer Kommission darlegen, die dann entschied, ob man wirklich überzeugende Gewissensgründe vortragen konnte...:-) Hier eine kleine Satire zum Prozedere...:-))) https://www.youtube.com/watch?v=WDTtMTcj8X0 Später reduzierte sich das auf eine bloße Mitteilung.
  3. Das Programm war unterschiedlich und hing von der Tätigkeit ab... Zumeist folgten 6 Wochen grundausbildung die Einsatzzeit in der Stammeinheit. Ich z.B. war bei der Luftwaffe und musste 12 Wochen Grundausbildung in einer Militärfachschule der Luftwaffe absolvieren... Wir hatten schlappe 8 Std. Formalausbildung, also lernen, wie man strammsteht, marschiert, grüßt, zackig wendet... Beim Heer war das deutlich mehr. Ich habe eine einzige Nacht in einem BW-Zelt draußen campiert, auch das war bei den "Erdferkeln" anders...:-)

NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 20:02

Findest du es schade, dass die Wehrpflicht "ausgesetzt" wurden ist? / War es bei der Bundeswehr eine schöne Zeit, oder warst du froh, als du wieder weg warst?

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atzef  12.11.2019, 20:19
@NoPagadi

Ich bin da eher unmotiviert und gegen meinen Willen hin, war aber eben auch kein Pazifist. Tatsächlich habe ich mir das viel öder und dröger und unangenehmer vorgestellt, als es tatsächlich war. Die Grundausbildung war recht interessant, weil wir die meiste Zeit im Klassenzimmer verbracht haben, um luftwaffenspezifische Unterstützungsaktivitäten zu lernen, um im Geschwadergefechtsstand, dem Tower oder in der Message Planing Section eingesetzt werden zu können...

Da ich wegen friedenspolitischer Aktivitäten keine Sicherheitsfreigabe vom Militärischen Abschirmdienst für die oben genannten Bereiche bekommen habe, bin ich im Nachschubbüro des Stabes einer Fliegenden Gruppe gelandet. Das war ein Bürojob vergleichbar mit einem im Bestellwesen... Auch das war leidlich interessant und die Atmosphäre sehr kollegial. Jobbedingt hatte ich als Nachschieber eine Reihe informeller Privilegien, z.B. Einzelzimmer, das weit luxuriöser ausgestattet war als meine erste Studentenbude...:-)

Das wichtigste, was ich da gelernt habe? Ordentliche Krawattenknoten zu binden! :-) Am meisten Spaß gemacht hat mir das Schießen. Ich hätte wohl Talent zum Sportschützen gehabt...:-)

Ich habe da keine nennenswert negativen Erinnerungen. Allgemein hat einen das in der persönlichen Entwicklung sicher vorangebracht, aber das hätte ebenso gut auch ein Job im Zivildienst.

In der Bilanz würde ich das weiterhin als Zeitverlust für den Beginn des Studiums betrachten.

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NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 20:23
@atzef

Okay. Vielen Dank für die tiefreichenden Einblicke. Für jemanden der das alles nicht kennt, wirklich sehr interessant ! Vielen Dank ! :-)

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Es wurde schon vieles gesagt, aber noch nicht von jedem, daher meine 2ct.

Zu 1. gibt es nichts mehr zu sagen.

Zu 2. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist in Art. 4 Abs. 3 GG fest geschrieben. Die Auslegung dieses Artikels

"Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

änderte sich stark im Lauf der Zeit. So gibt es z.B. von Günther Wallraff einen putzigen Bericht, wie er als Kriegsdienstverweigerer eben doch zur Bundeswehr musste

https://www.kiwi-verlag.de/buch/mein-tagebuch-aus-der-bundeswehr/978-3-462-02206-3/

(Er hatte den Antrag erst zwei Monate vor der Einziehung gestellt). Von BAP gibt es das Lied "stell dir vüür", das satirisch die "Gewissensprüfung", die ein Antragsteller durchlaufen mußte aufs Korn genommen hat. Heiner Geissler (+2017), ehemals Generalsekretär der CDU und in den 70ern und 80ern ein echter Kettenhund, hat seine Doktorarbeit über das Thema geschrieben.

Ich selbst habe zwar meinen Wehrdienst (Mitte der 80er 15 Monate) abgeleistet, aber dann als ich zur ersten Wehrersatzübung einberufen werden sollte nachträglich verweigert. Das war zu dieser Zeit richtig hip und ging tatsächlich problemlos. Ich mußte nicht einmal eine formelle Anhörung durchlaufen, meinem (ausführlich begründeten) Antrag wurde ohne persönliche Vorstellung statt gegeben.

Zu 3. Ich war bei den Fernmeldern, einer der wohl gemütlichsten Truppen beim Heer. Im ersten Monat gab es die schon von anderen beschriebene Grundausbildung. Unsere Einheit solle weit hinter der Front eine Kette von Funktürmen aufbauen, um die Kommunikation zwischen Front und rückwärtigen Stäben zu gewährleisten. Demzufolge war der rein militärische Auftrag lediglich, die Funktürme gegen Saboteure zu verteidigen. So haben wir in der Grundausbildung auch nur Schießen mit dem G3 und Handgranatenwurf gelernt.

Nach dem ersten Monat haben meine Kameraden die fachliche Ausbildung an den Fernmeldeanlagen durchlaufen. Ich selbst bin nach dem ersten Monat bereits zum Einsatzbataillon versetzt worden und habe dort eine Stelle im Geschäftszimmer einer Kompanie eingenommen. Meine Aufgabe war allgemeine Personalverwaltung (Führung der Personalstammblätter, Verschriftlichen der Dienstpläne, erstellen der Sonderdienstpläne nach Vorgabe, ...). Bei Übungen war ich Spießfahrer, d.h. ich habe den für die innere Organisation einer Kompanie verantwortlichen Hauptfeldwebel durch das Einsatzgebiet transportiert, war verantwortlich für den Transport des Essens zu den Funktürmen etc.

Nach 9 Monaten habe ich (wie viele der Abiturienten unter meinen Kameraden) den Antrag auf vorzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst gestellt. Ich wurde nämlich zum 01.10. eingezogen, eine Entlassung zu Weihnachten hätte bedeutet dass ich zum Wintersemester mein Studium nicht hätte antreten können. Da zu dieser Zeit die meisten naturwissenschaftliche Studiengänge nur im Wintersemester begonnen haben wäre dies eine unbillige Härte gewesen.

Ich mußte meinen gesamten im Wehrdienst angesammelten Urlaub dafür opfern und bekam für den Rest der Zeit (etwa 30-40 Arbeitstage) Sonderurlaub. Dafür mußte ich das Geschäftszimmer während des angeordneten Kompanieurlaubs im Sommer besetzt halten, was angesichts der Tatsache dass die Kompanie zu dieser Zeit gar keinen regulären Dienst hatte natürlich eine ziemlich einfache Angelegenheit war :-).

Daran und aus den Beschreibungen der anderen Poster kannst du sehen das der Dienst in der damaligen Bundeswehr viele verschiedene Ausprägungen hatte. Ich habe da hinsichtlich der Härten des Dienstes sicher viel Glück gehabt. Auf der anderen Seite habe ich ein Jahr meines Lebens verloren und kann nicht sagen dass ich da was sinnvolles gelernt habe.

Das was ich heute bedauere ist dass ich nie die Gelegenheit hatte den LKW Führerschein zu machen. Diesen haben die meisten meiner Kameraden nämlich während der Grundausbildung gemacht. Ich hatte mich statt dessen für den Geschäftszimmerdienst entschieden, weil ich dachte ich käme wegen meiner starken Sehschwäche ohnehin nicht in Frage. Erst später habe ich erfahren dass ich wenn ich den Antrag auf Einteilung zum Stabsdienst nicht gestellt hätte den Führerschein sehr wohl hätte machen können. Na ja, Schwund ist halt überall.


NoPagadi 
Fragesteller
 12.11.2019, 21:05

Vielen herzlichen Dank für die Einblicke !

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