Wer kann mir helfen das flugblatt zu analysieren?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Als Hintergrund ist es nützlich, sich ein paar allgemeine Informationen zu den Edelweißpiraten zu beschaffen.

Im nationalsozialistischen Deutschland entstanden außerhalb der Hitlerjugend (HJ) neue (eher lockere) Jugendgruppen, die sich den nationalsozialistischen Vorgaben verweigerten, unangepaßtes Verhalten zeigten. Sie wollten sich nicht das Leben in der Freizeit vorschreiben lassen. Aus der Abweichung und Ablehnung im Alltag entwickelte sich zum Teil politische Gegnerschaft und Widerstand.

Jugendgruppen dieser Art waren allgemein Überwachung und Verfolgung ausgesetzt (z. B. durch HJ [die einen „Streifendienst“ einrichtete], Polizei und gegen „bündische Umtriebe“ vorgehende Gestapo [„bündische Betätigung“ war ein politisches Delikt]). Zunächst stand Disziplinierung im Vordergrund. Jugendliche wurden verhaftet, verhört, vor Gericht gestellt und in Heime und Lager eingewiesen. Im Krieg kam es zu einer Verschärfung des Vorgehens, mit gelegentlich lebensbedrohenden Folgen.

Lexikon des Widerstandes 1933 – 1945. Herausgegeben von Peter Steinbach und Johannes Tuchel. Unter Mitarbeit von Ursula Adam, Hans Coppi, Klaus Drobisch, Andreas G. Graf, Norbert Haase und Sylvia Rogge-Gau. Originalausgabe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 1998 (Beck'sche Reihe ; 1061), S. 48:
Edelweißpiraten. In vielen Orten des Ruhrgebiets, Sachsens und anderen Industriezentren entstanden 1941/2 neue Jugend-Gruppen außerhalb der Hinter-Jugend (HJ), die vorwiegend aus dem Arbeitermilieu kamen. Jungen und auch Mädchen wollten dem eintönigen Dienst in der HJ entgehen und orientierten sich teilweise an bündischen Traditionen, die sie meist nicht mehr aus eigenem Erleben kannten. Einige der Gruppen entwickelten ihr Selbstbewußtsein aus dem Gegensatz zur HJ, andere wollten mit ihrer oppositionellen Haltung jugendliche Unabhängigkeit demonstrieren. Die Angehörigen dieser Gruppen, die sich „Cliquen“, Blasen“ oder „Horden“ nannten oder nach ihren Treffpunkten- wie die Kittelbachpiraten – und gemeinsamen Abzeichen - wie die Edelweißpiraten – bezeichneten, erkannten sich an unauffälligen Gemeinsamkeiten wie Lieder, Kleidungsstücke, Abzeichen oder Grußformen. Sabotageakte, Schlägereien mit der HJ, Abhören alliierter Sender, Verbreitung von Flugblättern und Kontakte zu ausländischen Zwangsarbeitern waren Ausdruck einzelner oppositioneller Aktivitäten. Eine Zusammenarbeit mit Widerstandskreisen der KPD und anderen Oppositionellen kam nur in Ausnahmefällen zustande. Verhaftete Edelweißpiraten wurden als „Verwahrloste“ oder „Gemeinschaftsschädliche“ in Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslager verschleppt, von Gerichten zum Tode verurteilt oder ohne jedes Verfahren ermordet.“

Bei der Analyse können die Gestaltung des Aussehens und der Text untersucht werden.

Das Flugblatt ist mit der Hand geschrieben und gezeichnet.

Ein Edelweiß, das Erkennungszeichen steht groß in der oberen Mitte. Vier kleinere Pflanzendarstellungen umrahmen es. In der rechten Ecke steht die Zahl 60. Es könnte eine Zählung sein (z. B. Flugblatt Nr. 60 oder Exemplar Nr. 60) - für eine genaue Deutung wären weitere Informationen nötig.

Beim Text ist der Beginn durch Größe und Stellung im oberen Teil hervorgehoben. Das meiste steht in zwei Spalten und ist gereimt (einmal etwas notdürftig). Ein abschließender Satz steht ein wenig hervorgehoben unten.

Der Text ist verhältnismäßig kurz und einfach (ein Vergleich mit Flugblättern der „Weißen Rose“ kann dies verdeutlichen). An manchen Stellen fehlen Satzzeichen.

„Einst wird kommen der Tag

Wo wir wieder frei

unsere Ketten entzwei,

wo wir wieder auf Walz

ohne Geh.stapo auf'm Hals

wo wieder Lieder klingen

die wir heut nur im geheimen singen

Dann ist's soweit"

Anscheinend ist das Flugblatt von Jugendlichen gestaltet worden und zum raschen Ansehen gedacht, mit anderen Jugendlichen als einer wichtigen Zielgruppe.

Einer Unterdrückung in der Gegenwart wird Freiheit in einer vorausgesagten Zukunft entgegengestellt.

„Einst wird kommen der Tag“ ist eine bekannte Wendung. Sie geht zurück auf Homer, in dessen Dichtung „Ilias“dem sowohl Agamemnon zu seinem Bruder Menelaos (Δ 4. Gesang. Vers 164 – 165) als auch Hektor zu seiner Frau Andromache (Ζ 6. Gesang, 448 – 449), in ihrem Geist und Empfinden sicher von einem zukünftigen Untergang Toias (hier mit einem anderen Namen Ilios genannt) zu wissen:

ἔσσεται ἦμαρ ὅτ' ἄν ποτ' ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρὴ

καὶ Πρίαμος καὶ λαὸς ἐυμμελίω Πριάμοιο.

„Einst wird kommen der Tag, da das heilige Ilios untergeht,

Priamos auch und das Volk des lanzenkundigen Priamos.“

Dem Nationalsozialismus wird, wenn dieser Ursprung den Verfassen des Flugblattes bekannt war, indirekt der Untergang vorausgesagt.

Das Bild entzweibrechender Ketten wird verwendet. Die Ketten können allgemein auf Unterdrückung, Knechtschaft/Versklavung und Gefangenschaft bezogen werden.


Albrecht  15.11.2011, 23:23

Auf der Walz zu sein, hat einen Ursprung in einem Umherziehen von Handwerksgesellen auf der Wanderschaft.

Die Bündische Jugend, von der Organisationen 1933 verboten worden waren, hatte Wurzeln in der Wandervogelbewegung.

Die Nationalsozialisten wollten oppositionellen Jugendlichen freie Fahrten unmöglich zu machen und erließen Verbote. Fahrtenerlaubnisscheine eingeführt wurden und ein HJ-Streifendienst gebildet, der verbotene Fahrtentätigkeit kontrollieren sollte. Die Edelweißpiraten mißachteten dieses Fahrtenverbot. Wenn sie erwischt wurden gab es Verhöre und die Androhung schärferer Maßnahmen im Wiederholungsfall. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) spielte bei Kontrolle, Verfolgung und Bekämpfung von Gegnerschaft eine wichtige Rolle.

Die Edelweißpiraten singen nach dem Flugblatt heimlich auch den Nationalsozialisten unerwünschte oder sogar von ihnen verbotene Lieder.

Die letzte Bemerkung greift den Anfang auf und nimmt das Eintreten dieser Zukunft an, in der diese Tätigkeiten wieder frei und offen unternommen werden können.

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