Was war ein Widerstandskämpfer?

Schema - (Schule, Geschichte, Nationalsozialismus)

6 Antworten

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Erstmal einen Glückwunsch: Du hast ein Schema vorgelegt bekommmen, in das Du menschen in ihrer Vielfalt einsortieren sollst wie Briefmarken in ihre Sammmelalben.

Dein Zweifel läuft eigentlich ganz grundlegend darauf hinaus, dass das den menschen nicht gerecht werden kann. An welcher Stelle Du auch immer beim einzelnen das Problem daran siehst.

Ich stimme Dir übrigens auch zu, dass Stauffenberg kein Gegner des Nationalsozialismus war. Angesichts seiner Funktion im Wehrmachtsapparat und dem späten Zeitpunkt seiner Entscheidung unterstelle ich ihm, dass ihm an Hitler lediglich missfiel, dass Deutschland unter seiner Führung auf die Niederlage zusteuerte und er dem Friedensschluss im Wege stand.

Der militärische Widerstand hatte ja auch alles andere als eine demokratische Republik im Sinn. Die Verfolgung von links orientierten Staatsgegnern wäre wahrscheinlich sogar weiter gegangen (für welche Annahme auch das beabsichtigte Streikverbot sprach).

meines Erachtens war da eher die Rettung eines gemässigten Nationalsozialismus das Ziel.

Das kann man aber auch anders sehen. Auch die von Albrecht zitierten Historiker wie Benz haben da z.T. Argumente vorgebracht. Sie sind für mein Empfinden aber nicht eindeutig genug. Dieser unbefriedigenden Situation stehen zuviele andere einfache Deutsche, die aufgestanden sind, entgegen, deren antifaschistische Einstellung viel zweifelsfreier ist und die zugunsten dieser Generale kontinuierlich totgeschwiegen werden.

An einer Stelle interpretierst Du das Schema jedoch u.U. falsch:

Doch in dem Schema würde man sie als "öffentlich" einordnen. Das heißt sie waren "Widerstandskämpfer"! Doch sie erfüllen ja nicht beide Bedingungen, weil sie nicht gegen die Ideologie Hitlers waren. Anderreseits gab es ja auch Leute, die die Ideologie vollkommen missbilligten, aber dies nie öffentlich machten. Dem Schema zufolge waren es jedoch Widerstandkämpfer, weil sie generell gegen die Ideologie waren.

Das Schema sagt keineswegs Öffentlich = Widerstand, nichtöffentlich = Nichtwiderstand. Es hat nämlich zwei Achsen. Der Widerstand ist aussen, reicht aber von nichtöffentlich bis öffentlich.

man kann nach diesem Schema also sehr wohl nichtöffentlichen Widerstand leisten. Auch Deutsche, die menschen auf der Flucht geholfen haben und dabei im Verborgenen blieben, sind hier anerkannte Widerstandskämpfer.

Viel zu deutlich abgegrenzt sind aber solche Begriffe wie "Protest" und die anderen Stufen. So etwas muss man definieren.

Und ich vermute: die Definition passt dann zu bestimmmten Personen, anhand von deren Entwicklung sie gemacht ist, und ist völlig unpassend für andere.

Es gibt menschen, die sind ohne jede Zwischenstufe direkt in den Widerstand gegangen. Eine Entwicklung haben die gar nicht gehabt. Denk Dir hier mal einen prominenten Kommunisten.

Der wurde z.B. gleich im April 1933 verhaftet und zu Tode gefoltert, nachdem er schon im märz 1933 Plakate gegen die Nazis geklebt hatte.

Das Problem mit so jemandemm wie diesem anonymen Kommunisten: die Historiker oder Intellektuellen, die solche Schemata entwerfen, haben oft nur bestimmte menschen im Blickwinkel, mit denen sie sich identifizieren und mit denen sich die Organe unseres Staates identifizieren.

Und das sind konservative Bürger, die anfänglich für Hitler und die NSDAP gewesen sind. Die hatte ja das gesamte bürgerliche Lager in sich aufgenommen.

menschen dieser Herkunft sind in aller Regel so einen Weg vom Nullpunkt dieses Schemas nach aussen gegangen, ob nun nach oben, nicht öffentlich, oder nach rechts, öffentlich.

Aber selbst unter denen konnte es andere gegeben haben.

Jetzt habe ich Dir vielleicht wenigstens noch eine Erklärung mitgeben können, warum es solche Schemata gibt, die Dich nicht überzeugen.

Was Widerstand ist, definiert jeder anders. Da spielen ganz persönliche Einstellungen hinein und persönliche Grenzen. Wie ich schon gesagt habe, wollen sich viele Historiker nicht so gerne bspw. mit den Kommunisten befassen. I.d.R einfach, weil sie linken Weltanschauungen ablehnend gegenüber stehen

Da der Staat Bundesrepublik Deutschland kapitalisch bzw. marktwirtschaftlich verfasst ist, ist dies die staatlich-offizielle Linie. Darum hast Du auch in der Schule Stauffenberg & Co im Überfluss.

Andere sind misstrauisch gegenüber denen von der konservativen Seite. Auch ich kann mich eben nicht davon ausnehmen, wie du ja an meiner Stauffenberg-Skepsis siehst.

In der DDR war diese Linie ebenso einseitig bevorzugt wie die konservative jetzt in der BRD.

Eigentlich sollte man alle gleichermassen respektieren und erforschen. Dass dies gelingt, ist jedoch eine Ausnahme. Staatlich gefördertr wird das zudem nicht.


derdorfbengel  04.03.2013, 02:57

Nachtrag:

Warum ich nichts von so einer Schematisierung halte, an eine Beispiel. Vergleichen wir mal zwei Personen der Zeit und ordnen sie ein.

Stauffenberg hast Du schon eingeordnet bzw. das hat der Unterricht getan.

Jetzt nehmen wir mal Ludwig Baumann. Den wähle ich deshalb, weil er kein toter Name aus eine Geschichtsbuch ist, sondern ich ihn persönlich kennen gelernt habe und ich ihn bewundere.

Er war damals ein einfacher junger Soldat in der Wehrmacht, kein hoher Offizier wie Stauffenberg. Er war in Frankreich eingesetzt, um marine-Anlagen zu bewachen. Eines Tages sprach er vertraulich mit einem Kameraden und sie stelten fest, dass sie schlecht versorgt waren. Sie kamen auch auf die Idee, dass es dann die Soldaten in Russland erst recht wären, obwohl der dortige Winter unendlich härter war.

Ein guter und fürsorglicher Führer dürfte nicht so mit den Soldaten ummgehen. Dann erzählte der eine dem anderen, dass er sogar von furchtbaren massakern an der zivilbevölkerung gehört habe.

Sie stellten fest, dass sie beide das für verbrecherisch hielten und das nicht mehr unterstützen wollten. Nichtmal im relativ friedlichen Frankreich. Sie fanden einen Kontakt zur französischen Untergrundbewegung, der sie nach Spanien schleusen wollte.

Sie desertierten.

Leider wurden sie geschnappt. Der Kamerad wurde direkt hingerichtet, Baumann überlebte durch Glück obwohl auch er schon ein Urteil hatte.

Ich bin nicht 100 Prozent sicher, wie der Autor des Schemas ihn einordnen würde. Aber ich könnte mir denken: er käe nur auf die Stufe unter den Widerstand. Denn er verweigerte sich ja angeblich nur individuell, ohne etwas für den Sturz des Regimes zu tun.

Im Gegensatz zu Stauffenberg unternahm er kein Attentat auf Hitler.

Aber kann man das als Bewertungsgrundlage verwenden?

Er hatte doch gar keinen Zugang zum Führer! Wie sollte ein einfacher Soldat den Führer töten können?

Er wählte das, was ein einfacher mann von ganz unten aus dem Volk maximal tun konnte!

Tat Stauffenberg überhaupt alles, was er tun konnte? Oder hätte er nicht vielleicht sogar noch mehr tun können? Und das vor allem viel früher? Denn die verschwommenen Gerüchte von massakern, die Baummann in Frankreich verspätet erreichten und unglaubwürdig waren, hatte Stauffenberg als klare Fakten im ersten Augenblick: er war nämlich im Generalstab genau dafür verantwortlich, für diese massaker.

Dieses Schema sorgt dafür, dass relativ gemässigte Taten ganz hoher Tiere als die Krönung bewertet sind, und die Taten einfacher menschen, die bis ans Äusserste ihrer möglichkeiten gingen, nur als geringere Vorstufe gelten können.

Es ist genau darauf zugeschnitten, Stauffenberg & Co zu glorifizieren.

Und noch ein Punkt.

Ich habe gerade Stauffenberg abgewertet. Nicht, weil ich das wollte, sondern weil ich musste. Denn das Schema zwingt zum Vergleichen. Nur so kann eingeordnet werden.

So setzt es diese unselige Geschichte der bundesrepublikanischen Tradition fort, die einige wenige Widerstandshelden glorifiziert, um dafür sogar andere fortwährend zu kriminalisieren. Baumann war bis 1998 ein vorbestrafter Krimineller.

Er wollte nach dem Krieg Lehrer werden. Dafür galt er als unwürdig, weil eben ein Verbrecher.

mir hat dieses Schema nun kaum eine andere Gelegenheit gegeben, Baumann Gerechtigkeit gedeihen zu lassen, als die, Stauffenberg im Gegenzug abzuwerten.

Ist das nicht eigentlich widerlich?

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Wir haben in der Schule im Moment das Thema "Nationalsozialismus". Letzte Stunde haben wir uns mit Widerstandskämpfern im Dritten Reich beschäftigt. Da haben wir dann auch über die Staufenberg - Attentäter geredet. Doch inwiefern kann man die eigentlich als Widerstandskämpfer bezeichnen?

Weil sie versucht haben die Nazi-Führung gewaltsam zu töten, um danach dann in Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu treten.

Wir habe in dieser Unterrichtseinheit auch ein Schema besprochen (Bild), auf dem das alles definiert ist. Doch dieses Schema stimmt zum Teil nicht, finde ich. Denn Staufenberg und Co. hatten ja nicht prinzipiell etwas gegen den Nationalsozialismus, sondern nur gegen Hitler als Führer.

Und der Nationalsozialismus ist ohne Führerprinzip auch sinnlos! Demzufolge waren die Männer vom 20. Juli 1944 sehr wohl gegen den Nationalsozialismus und seine Übel (u.a. der Holocaust).

Doch in dem Schema würde man sie als "öffentlich" einordnen. Das heißt sie waren "Widerstandskämpfer"! Doch sie erfüllen ja nicht beide Bedingungen, weil sie nicht gegen die Ideologie Hitlers waren. Anderreseits gab es ja auch Leute, die die Ideologie vollkommen missbilligten, aber dies nie öffentlich machten. Dem Schema zufolge waren es jedoch Widerstandkämpfer, weil sie generell gegen die Ideologie waren.

Diese Leute fallen dann in den Bereich Missbilligung im Schema.


Millie56 
Fragesteller
 04.03.2013, 06:13

Aber Staufenberg wollte Hitler ja nur nicht als Führer, die nationalsozialistische Ideologie empfand er aber als gut und richtig!

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A) Begriffe »Widerstand« und »Widerstandskämpfer«

Der Begriff »Widerstand« ist schwierig scharf abzugrenzen und wird auch, was die genaue Bedeutung betrifft, nicht allgemein ganz einheitlich verwendet.

Bei dem Schema, das im Unterricht besprochen worden ist, liegt der Schwerpunkt auf der abhebenden Unterscheidung von Widerstand gegenüber anderen Formen abweichenden Verhaltens („Art des Protests“ ist kein gut gelungener Oberbegriff, weil „Prostest“ selbst nur eine von mehreren Formen ist) gegenüber Vorgaben, Wünschen und Anordnungen eines Herrschaftssystems. Widerstand ist eine grundlegende und allgemeine Ablehnung eines Herrschaftssystems (z. B. Missfallen an der Führerdiktatur), bei der Handlungen in einem starken Ausmaß in einem öffentlichen (auf den Staat bezogenen) Wirkungsraum stattfinden.

Die Typologie hat gewisse in ihrem Schematismus liegende Schwächen. Eine Abfolge wird nahegelegt, bei der ein Durchlaufen verschiedener Stufen zum Höchstmaß führt bzw. alle Verhaltensweisen notwendig immer zugleich gegeben sein müssen. Außerdem kann sie den Anschein erwecken, mit stärkerem Missfallen bzw. zunehmender Öffentlichkeit werde gleichsam automatisch der nächsthöhere Typ abweichenden Verhaltens erreicht.

Bei einem anderen Ansatz der Begriffsverwendung steht das zusammenführende Erfassen einer großen Vielfalt und Bandbreite von Verhaltensweisen, die nicht mit Vorgaben, Wünschen und Anordnungen eines Herrschaftssystems übereinstimmen bzw. sich ihnen anpassen, im Vordergrund. Dabei können in der Analyse verstärkt Schwierigkeiten auftreten, was noch als Widerstand eingestuft wird und was nicht.

Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Widerstandsbegriff. In: Lexikon des Widerstandes 1933 – 1945. Herausgegeben von Peter Steinbach und Johannes Tuchel. Unter Mitarbeit von Ursula Adam, Hans Coppi, Klaus Drobisch, Andreas G. Graf, Norbert Haase und Sylvia Rogge-Gau. Originalausgabe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. München : Beck, 1998 (Beck'sche Reihe ; 1061), S. 241:
„Weil sich W. vor allem auf die Verteidigung einer menschenwürdigen Ordnung bezieht, hängt die innere Anerkennung des W.s von der Formulierung der Grenzen und Ziele des Staates ab, deren Gefährdung und Verletzung widerständiges Verhalten notwendig macht. In der Regel wird W. durch Attribute präzisiert. Dadurch soll deutlich gemacht werden, daß W. als eine Form abweichenden Verhaltens ein breites Verhaltensspektrum abdeckt – vom passiven Widerstand und der Verweigerung über die innere Emigration, den ideologischen Gegensatz und die bewußte Nonkonformität zum Protest, zur offenen Auflehnung und schließlich zur Konspiration, die sich sowohl auf die gedankliche Vorbereitung der Neuordnung nach dem Ende des NS-Staates konzentrieren konnte als auch versuchen mußte, aktiv den Umsturz des Regimes vorzubereiten und durchzuführen. W. bezeichnet ein breites Verhaltensspektrum, dessen Voraussetzungen in Vorbehalten gegenüber dem Regime (Resistenz), in der inneren Kraft zur bewußten Distanzierung von den politischen Konventionen der Zeit und in der Befähigung zur Bewahrung traditional vermittelter Wertvorstellungen liegen. Im Verständnis der Deutschen wird der Begriff W. vor allem durch die Erfahrungen der NS-Zeit bestimmt. W. bezeichnet in diesem Zusammenhang jedes aktive und passive Verhalten, das sich gegen, das NS-Regime oder einen erheblichen Teilbereich der NS-Ideologie richtete und mit hohem persönlichem Risiko verbunden war.“

W. = Widerstand

Ein Widerstandkämpfer ist jemand, der sich in bewußter grundsätzlicher Gegnerschaft einem Herrschaftssystem widersetzt, etwas dagegen unternimmt und letztlich auf dessen grundlegende Abänderung, Beseitigung bzw. Umsturz zielt. Auch an persönliche Gefahren, die jemand auf sich nimmt, kann gedacht werden. Beim Widerstand gegen Nationalsozialismus gehört zu einem echten Widerstandkämpfer irgendeine allgemeine Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie oder des nationalsozialistischen Staates. Im Widerstand ist eine Mißbilligung und eine Auflehnung enthalten.


Albrecht  04.03.2013, 01:43

Wolfgang Benz, Das 101 wichtigsten Fragen – Das Dritte Reich. Originalausgabe, 2. Auflage. München : Beck, 2008 (Beck'sche Reihe ; 1701), S. 95:
64. Wer hat Widerstand gegen das NS-Regime geleistet? Die Bezeichnung Widerstand fasst als Oberbegriff unterschiedliche Einstellungen, Haltungen und Handlungen zusammen, die gegen den Nationalsozialismus als Ideologie und Herrschaftssystem gerichtet sind. Im weitesten Sinne sind darunter auch die ins Exil geflohenen Antifaschisten zu verstehen, die wenig oder keine Möglichkeiten hatten, etwas ähnlich Entscheidendes gegen die Regierung Hitlers zu unternehmen wie die Männer, die das Attentat vom 20. Juni planten und ausführen. Zum Widerstand kann man auch diejenigen rechnen, die sich weder durch Lockung noch Zwang vom Nationalsozialismus vereinnahmen ließen, die ihre geistige Unabhängigkeit, ihre demokratische oder rechtsstaatliche Überzeugung, die Werte und Normen ihres Milieus – etwa im Rahmen der Arbeiterbewegung oder innerhalb kirchlicher oder sonstiger religiöser Bindungen – bewahrten.

Im engeren Sinne ist aber zwischen den kritischen bis abweisenden Haltungen der Verweigerung und Selbstbehauptung einerseits und den bewussten Anstrengungen zur Änderung der Verhältnisse andererseits zu unterscheiden. Opposition gegen das Unrechtsregime war noch nicht gleichbedeutend mit persönlichem Einsatz und den damit verbundenen Gefährdungen. Diesen setzet sich jeder aus, der mit Flugblättern, Wandparolen, als Kurier zu Regimegegnern im Ausland aktiv war oder einem Verschwörerkreis angehörte, in dem der Sturz der Diktatur und eine neue Staats- und Gesellschaftsordnung geplant wurden. Verweigerung (als persönliche Abwehr von Herrschaftsanspruch und Selbstbehauptung von Gruppen), Opposition (als Haltung grundsätzlicher Gegnerschaft) und Widerstand als bewusstes Handeln) waren Formen kritischer und gegnerischer zum NS-Regime. Sie bauten aufeinander auf und steigerten sich von der passiven Abwehr zum aktiv verwirklichten Wunsch nach Veränderung des Regimes.

S. 96: „Auch die Geschichtsschreibung hat Mühe mit der Bewertung von Widerstand. Um die Verweigerung, die sich im Kampf um Kruzifixe in den Schulen, in der Vermeidung des »Hitler-Grußes« oder Hören ausländischer Rundfunksender ausdrückte, um schließlich alle Haltungen von Opposition in den Widerstand einzubeziehen, wurde der Begriff »Resistenz« eingeführt. Ihm waren folgenden Merkmale zugeordnet: »Wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft oder ihres Anspruchs, gleichgültig von welchen Motiven her« (Martin Broszat). Diese Begriffsbestimmung aus den frühen 80er Jahren hat sich nicht durchgesetzt. Der schwerstwiegende Einwand dagegen lautet, dass fast jedes nicht regime-konforme Alltagsverhalten, ohne Rücksicht auf die Motive, unter diesen »erweiterten Widerstandsbegriff« falle, dass somit jeder, der dem NS-Regime nicht ständig Beifall zollte, schon Widerstand geleistet hätte (Andreas Hillgruber).

Um der damaligen Wirklichkeit zu entsprechen und um den verschiedenen Formen von Opposition gerecht zu werden, ist deshalb Widerstand im eigentlichen Sinne nicht nur als Haltung zu definieren, sondern als Handeln, das auf grundsätzlicher Ablehnung des Nationalsozialismus beruhte, das aus ethischen, politischen, religiösen, sozialen oder individuellen Motiven darauf abzielte, zum Ende des Regimes beizutragen. Voraussetzung war eine Haltung von Dissens zum NS-Regime (Ian Kershaw) oder von »weltanschaulicher Distanz« (Richard Löwenthal). Widerstand wurde daraus, wenn diese Haltung sich zur Absicht verdichtete, eine Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen. Widerstand im engeren und eigentlichen Sinne war dann jeder »bewusste Versuch, dem NS-Regime entgegenzutreten« (Christoph Kleßmann) und die damit verbundenen Gefahren auf sich zu nehmen. Das galt für Kommunisten ebenso wie für einzelne Vertreter der Kirchen, für »Ernste Bibelforscher« (Zeugen Jehovas), die sich ins KZ sperren ließen, für Sozialdemokraten wie für Konservative.“

B) Einordnung Staufenbergs

Im Zweifelsfall ist bei den Personen einzeln zu prüfen, zu welcher Zeit sie wo eingeordnet werden können.

Wenn die Darstellung richtig wäre, Stauffenberg und die Leute vom 20. Juni 1944 hätten keine grundsätzlichen Einwände gegen den Nationalsozialismus gehabt und nur Hitler gegen ein andere Person austauschen wollen , wäre dies als geringer Grad des Missfallens an der Führerdikatur einzuordnen, als nicht generelles, sondern teilweises (gegen Hitler im speziellen) Missfallen .

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Albrecht  04.03.2013, 01:46

Die Beurteilung, alle hätten keine weitergehenden Ziele gehabt, ist aber unzutreffend. Die Leute, für die an Regierungsämter gedacht war, deckten eine große politische Bandbreite ab, dazu gehörten Konservative, ein national eingestellter Konservative mit liberalen wirtschaftspolitischen Grundsätzen wie Carl Friedrich Goerdeler, aber auch Vertreter eine politischen Katholizismus wie z. B. Josef Wirmer und Eugen Bolz und Sozialdemokraten wie z. B. Julius Leber und Wilhelm Leuschner.

Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist niemals ein vollständiger Nationalsozialist gewesen, doch hat 1932/1933 das Gefühl einer „nationalen Erhebung“ auf ihn eingewirkt und er hat für manche Ziele, die ausgegeben wurden, Sympathien gehabt. In der Anfangszeit ab 1933 hat er die Politik zum größten Teil bejaht (vor allem nach seiner Deutung verfolgte Ziele wie Gedanke des Führertums, gesunde Rangordnung, Volksgemeinschaft, Kampf gegen Korruption, Förderung der Bauern, Abneigung gegen modernen Geist der Großstädte). Offene Gewalt gegen Juden hat er abgelehnt. Hitlerss anfängliche Erfolge haben ihn beeindruckt und Bedenken zunächst gebremst.

In Äußerungen zur Reichspräsidentenwahl 1932 hat er Hitler gegenüber Hindenburg (der ihm zu alt war) bevorzugt (selbst hatte er als Angehöriger der Reichswehr kein Wahlrecht). Gegen die Durchführung der Politik traten Vorbehalte auf, er hielt vieles für eine Verkehrung ins Gegenteil seiner Vorstellungen. In seiner Meinung zum „Führer" hat es Schwankungen gegeben, bis er dessen Beseitigung für geboten hielt.

Stauffenberg gehörte zu einer Gruppe mit einer Vision „geheimes Deutschland" (eine Idee des Dichters Stefan George und seines Kreises; die drei Brüder Stauffenberg [Alexander, Berthold, Claus] wurden als Jugendliche seine Anhänger). Es geht in den Vorstellungen um eine geistige Elite, die das wahre, eigentliche Deutschland verkörpert. Einzelne mit ganzheitlicher Persönlichkeit spielen eine große Rolle. Wichtige Eigenschaften sind Idealismus, Mut, Selbstlosigkeit. Abgelehnt wird eine als kulturlos verstandene Modernisierung und Massengesellschaft.

Vorbilder sind Staatsmänner, Philosophen und Künstler aus verschiedenen Epochen, wie dem antiken Griechenland, dem mittelalterlichen Rittertum und den Stauferkaisern, Goethe und Nietzsche.

Programmatische Gedanken sind dabei oft erst einmal im Grundsatz eher verschwommen, aber es wird eine Umsetzung der Ideale in der gegenwärtigen Wirklichkeit gefordert. Die Beteiligten konnten sich dabei als weitgehend im Verborgenen wirkender Bund verstehen (wenig beachtet und erst einmal in der Realität kaum zur Geltung gekommen).

Ab 1941 begannen zunehmende Zweifel an der nationalsozialistschen Politik. Überlegungen zur militärischen Lage ließen ihn an einem Sieg zweifeln. Die Politik und Kriegsführung des Führers lief, wie er bemerkte, auf ein Scheitern hinaus und dieser war nicht von einem verderblichen Weg abzubringen. Durch seine Tätigkeit im Generalstab an der Ostfront seit 1942 erhielt er viele Informationen, die ihm Klarheit über die strategische Lage und das Vorkommen von Verbrechen (Massenerschießungen, Massaker an Juden und der Zivilbevölkerung allgemein, Massensterben von Kriegsgefangenen) in diesem Gebiet gaben. Er erkannte dies als nicht nur Begleiterscheinungen eines brutalen Kriegs, die wegen der Zerstörung eines möglichen Wohlwollens antibolschewistisch eingestellter Bevölkerung der Sowjetunion schädlich waren, sondern Wesen eines Krieges mit rassistischen Beweggründen.

Stauffenberg hat unter dem Eindruck von Greueln im Krieg in Gebieten im Osten und schädlicher Auswirkung der dort betriebenen Politik (wichtig war darunter die Behandlung der Bevölkerung in den besetzen Gebieten im Osten) und Kriegsführung eine zunehmende Ablehnung entwickelt, spätestens 1942 einen Umsturzgedanken gehegt und im Sommer 1942 jüngere Offiziere dafür gewonnen. Anfangs glaube er dabei noch, zumindest eine Niederlage könne vermeiden und die Ostfront stabilisiert werden. Stauffenberg war zu dieser Zeit Gegner des Nationalsozialismus.

Mit dem Attentat auf den Diktator, dessen Tötung beabsichtigt war, war der Versuch eines politischen Umsturzes in Deutschland verbunden. Ein Einsatzplan gegen innere Unruhen sollte in Umkehrung der von den Nationalsozialisten gedachten Zweckes gegen die nationalsozialistische Herrschaft gerichtet werden (Operation Walküre). Eine Gelegenheit zu öffentlichen Aufrufen wichtiger Mitglieder des Widerstandes wurde erhofft, um die Bevölkerung zu gewinnen. Die Tötung des Diktators war wichtig, um irgendwelche Bedenken wegen eines Eides auf dessen Person auszuschalten (in der Wehrmacht hatte manche eine schwankende und unentschlossene Einstellung gegenüber aktivem Widerstand) und eine Befehlskette zu durchbrechen.

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Albrecht  04.03.2013, 01:47

Beweggründe für Widerstand, Attentat und Staatsstreich waren bei Stauffenberg:

  • Einschreiten gegen Verbrechen, die gegen Recht und sittliche Grundsätze verstießen (z. B. Unterdrückung und Verbrechen wie Massenerschießungen, Massaker an Juden und der Zivilbevölkerung allgemein, Massensterben von Kriegsgefangenen), das Gewissen gebot den Tyrannenmord. Seine moralischen Überlegungen wurden aus verschiedenen Quellen gespeist, aus christlich-katholischer Lehre, einem aristokratischen Ehrenkodex, ethischen Prinzipen im antiken Griechenland und der Dichtung der deutschen Klassik und Romantik. Er war von Einflüssen eines Kreises um den Dichter Stefan George geprägt, dem er sich als Jugendlicher angeschlossen hat und in dem es als eine Idee das „Geheime Deutschland“ gab. Diese Idee war politisch verschwommen und in gewisser Weise elitär. Sie ersehnte eine geistige Erneuerung und dies hat Stauffenberg als Auftrag verinnerlicht.

  • Rettung Deutschlands (patriotisch-nationales Motiv) vor einer Politik, die zum Scheitern führt (drohende und sich immer deutlicher abzeichnende Niederlage und danach zu erwartende Besetzung, Verlust von Gebieten, möglicherweise Aufteilung); die stark geschwundenen Aussichten, noch einen verhältnismäßig milden Frieden zu erreichen, waren Stauffenberg am 20. Juli 1944 klar

  • Einsatz gegen eine die Ehre schändende Pervertierung von Idealen: Hitler und die Führung der Nationalsozialisten verrieten nach seiner Ansicht Deutschland und Ideale. Mit der Verwicklung der Streitkräfte in grauenvolle Verbrechen wurden nach seiner Beurteilung militärische Werte pervertiert (Vorstellungen über ein Soldatentum waren für ihn wichtig und dazu gehörten bestimmte Prinzipien). Die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit hatte für ihn eine große Bedeutung.

  • Wichtigkeit, ein Zeichen zu setzen, die Existenz eines anderen, besseren Deutschlands zu beweisen, das sich entschlossen gegen die nationalsozialistische Herrschaft stellt und durch Taten deren Sturz versucht (Henning von Tresckow im Sommer 1944 an Claus Schenk Graf von Stauffenberg: „Das Attentat muß erfolgen, côute que côute [koste es, was es wolle]. Sollte es nicht gelingen, so muß trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat.“)

  • Beendigung von Töten und Zerstören, Vermeiden weiterer Opfer von Krieg und Gewalt (Stauffenberg hatte das Empfinden, er könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen nicht gut in die Augen sehen, wenn er nichts getan hätte, sinnlose Menschenopfer zu verhindern)

Eine Biographie in verschiedenen Ausgaben enthält eine ausführliche Darstellung:

Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Stuttgart : Deutsche Verlags-Anstalt, 1992. ISBN 3-421-06533-0

Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg : die Biographie. München : Pantheon, 2007. ISBN 978-3-570-55046-5

kürzer und kompakt ist:

Peter Hoffmann, Stauffenberg und der 20. Juli 1944. Original-Ausgabe. München : Beck, 1998 (Beck'sche Reihe : C. H. Beck-Wissen ; 2102). ISBN 3-406-43302-2

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earnest  04.03.2013, 11:58
@Albrecht

@Albrecht DH: Die Essenz eines Hauptseminars, brilliant serviert. Danke!

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Hallo Millie96, das ist eine Frage, die du auch ganz leicht selbst G@@geln kannst. Hier ein Link: http://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand_gegen_den_Nationalsozialismus


Millie56 
Fragesteller
 03.03.2013, 20:07

Dass ich die Frage ergoogeln kann, ist klar. Aber dann komme ich zum Beispiel auch auf die Staufenberg - Attentäter! Laut des Schemas gehören die aber nur teilweise zu den Widerstandskämpfern, weil sie Hitler ja nur austauschen wollten, nicht aber die Ideologie missbilligten. Doch öffentlich war deren Aktion ja schon. Das nächste Problem sind dann die, die nichts öffentlich gemacht haben, aber generell gegen die Ideologie von Hitler waren. Die sind laut dem Schema ja auch Widerstandkämpfer! Meine Frage ist auch eher so gemeint:

Ab wann ist man ein WQiderstandskämpfer? Welche Bedingungen muss man erfüllen, um als solcher bezeichnet zu werden!

Trotzdem Danke :)

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Für mich sagt das aus, dass das Höchste an Widerstand die Abneigung gegen die Ideologie ist, also das höchste Maß an Widerstand ist. Sie haben ja Widerstand gegen die Regierung unter Hitler geführt, also deswegen waren sie ja Widerstandskämpfer.