Warum ist der Sozialdarwinismus derart verpönt?

9 Antworten

Von Experte Legion73 bestätigt
Sozialdarwinismus sagt lediglich, dass es eine natürliche Auslese gibt was zu Ungleichheiten führt.

Nein sagt er nicht, das sagt der Darwinismus und die Erbbiologie, nicht der Sozialdarwinismus. Der Sozialdarwinismus lehrt, dass die Gesellschaft ein Produkt aus dem Kampf zwischen Mensch und Mensch ist, bei dem am Ende der Überlegene triumphiert. Wikipedia dazu:

Sie [die Theorie des Sozialdarwinismus] interpretiert missbräuchlich Teilaspekte des Darwinismus in Bezug auf menschliche Gesellschaften um und fasst deren Entwicklung als Folge natürlicher Selektion beim „Kampf ums Dasein“ auf.

Dass das eine zurecht verpöhnte Theorie ist sollte klar sein, falls nicht bitte lesen:

Um die Probleme des Sozialdarwinismus zu verstehen, muss erstmal die liberale Gesellschaftstheorie, die, wie jede Gesellschaftstheorie, mit der Frage "Warum gibt es eine Gesellschaft?" beginnt, verstanden werden. Ihre Antwort ist dabei simpel und genial zugleich: Weil wir, durch Arbeitsteilung, voneinander profitieren und es daher vorteilhaft für uns ist zusammen zu leben und zu wirtschaften (siehe dazu komparative und absolute Kostenvorteile). Natürlich entstand die Gesellschaft nicht durch ein explizites erkennen und verstehen dieser Vorteile, aber sie wurden eben doch implizit erkannt und sozusagen spontan genutzt. Die Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, war damit geboren. Seitdem diese Gesellschaft gebildet wurde, breitet sie sich auf zwei verschiedene Arten aus: 1. Umfasst die Arbeitsteilung immer mehr Menschen und 2. werden die Ziele, die durch "gesellschaftliches Handeln" erreicht werden sollen, immer mehr. Nun, was zeigt uns das? Es zeigt uns, dass Gesellschaft nicht das Produkt aus Krieg ist. Ludwig von Mises, auf dessen Schriften meine Antwort beruhrt, nennt das Mittel des Krieges sogar "entgesellschaftend".

Kommen wir zum Individuum. Das Individuum ist auf drei Gebieten "abhängig": 1. Ist es abhängig von seinen biologischen Anlagen (dazu gehört zu einem gewissen Teil seine Intelligenz, sein Geschick, seine Größe etc.) 2. von seinem sozialen Umfeld (dazu gehört die Sprache, die Arbeit, die Weltanschauung etc.) und 3. von seiner natürlichen Umwelt (dazu gehören Klima, Artendiversität, Boden etc.). Diese dritte Abhängigkeit kann man seit Darwin, freilich metaphorisch, als einen Kampf bezeichnen. Aber ab hier wird es verzwickt.

Erstmal muss gesagt sein, dass die Grundideen des Darwinismus von den Sozialwissenschaften in die Biologie transferiert wurden. Die Sozialwissenschaft erkannte, wie schon geschildert, dass die Abhängigkeit von der natürlichen Umwelt durchaus als Kampf charakterisiert werden kann, diese Idee übernahm Darwin und entwickelte daraus die Evolutionstheorie. Das Problem das sich jetzt jedoch ergab war, dass dieser Darwinismus, der seinen Ursprung in der Sozialwissenschaft nahm, wieder zurück in die Sozialwissenschaften geführt werden sollte. Denn dabei wurde vergessen, dass es sich nur um eine Metapher für den schwierigen Umgang mit den Widrigkeiten der Natur handelte und keineswegs um ein gesellschaftliches Erklärungsmodell. So ist der Sozialdarwinismus entstanden, der nicht mehr als eine Verherrlichung von Krieg, Mord und Kampf darstellt.

Damit sollte die Frage beantwortet sein.

Mises selbst beschreibt diese Ferfehlung übrigens knapp und treffend in diesem Zitat:

„Die Gesellschaft ist die Vereinigung der Menschen zur besseren Ausnützung der natürlichen Daseinsbedingungen; sie beseitigt schon durch ihre Entstehung den Kampf zwischen den Menschen und setzt an seine Stelle die wechselseitige Hilfe, die das Wesen aller zu einem Organismus vereinten Glieder ausmacht. Innerhalb der Gesellschaft gibt es keinen Kampf, nur Frieden. Jeder Kampf hebt für den Bereich, in dem er wirksam wird, die gesellschaftliche Gemeinschaft auf.”

(Mises 1922: 309)


akesipalisa  16.11.2022, 16:57

Das Zitat von Mises mag für ein Bienenvolk gelten, aber die Feststellung "Innerhalb der Gesellschaft gibt es keinen Kampf, nur Frieden" ist doch für die menschliche Gesellschaft definitiv falsch, denn diese ist voller Kämpfe und Konflikte, ohne dass dadurch die "gesellschaftliche Gemeinschaft" aufgehoben wird.

0

Weio die Grundidee des Sozialdarwinismus die ist, dass Menschen denen es schlecht geht allein daran Schuld sind. Daraus wird abgeleitet, dass sie daher weniger wert sind, und es daher ok ist sie umzubringen, geht ja nach der Logik eh niemand mit Wert verloren.

Steht alles komplett im Gegensatz dazu, dass jedes Leben und jeder Mensch wertvoll ist. Es wird auch völlig ignoriert, dass Leute eben nicht an allem Schuld sind, was ihnen passiert. Jeder kann arbeitslos werden, und zeitweise führt das dann auch zu längeren Zeiten der Suche. Leute die in reiche Familien reingeboren werden haben grundlegende Probleme nicht, die bei Kindern aus armen Verhältnissen auftauchen. Und so weiter.

Von Experte earnest bestätigt

Weil der Begriff Sozialdarwinismus eigentlich nur das ideologische Weltbild (insbesondere das des Menschen in der Gesellschaft und der Wirtschaft) einiger weniger Sozialwissenschaftler und diverser faschistoider Weltverbesser begründet.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist Sozialdarwinismus ein unsinniges Konstrukt, weil es auf falschen Annahmen, falscher Interpretation von wissenschaftlichen Kernaussagen der Evolutionstheorie und der Genetik beruht.

Mit anderen Worten, SW ist insbesondere verpönt, weil er als falsch und naturwissenschaftlich unhaltbar bewiesen wurde.

Dass der Begriff auch immer gerne im faschistoiden und/oder hyperkapitalistischen Umfeld und zur Rechtfertigung auch extremer Ungleichheiten benutzt wird, macht ihn auch nicht gerade gesellschaftsfähig oder sympathisch. Jenseits der reinen Wissenschaft passt er auch in keinster Weise zu unseren auf dem naturalistischen Humanismus basierten Menschenrechtsbegriff.

Kurze Antwort: Historische Erfahrung

Lange Antwort: Sozialdarwinismus führt zwangsweise zu Verlust von Moral und Werten sowie der Wert des Menschen an sich. Aus der Geschichte haben wir gelernt dass Sozialdarwinismus in einer modernen Gesellschaft nichts zu suchen hat. Jeder Mensch ist wertvoll und jeder Mensch hat das Recht sich fortzupflanzen. Das ist integraler Bestandteil der Menschenrechte und Grundlage für eine friedliche, moderne Gesellschaft.


Silicium58  08.04.2022, 20:57
jeder Mensch hat das Recht sich fortzupflanzen. Das ist integraler Bestandteil der Menschenrechte und Grundlage für eine friedliche, moderne Gesellschaft

Für mich ist es eher die Grundlage einer sicheren Bevölkerungsexplosion mit blutigem Kampf um die Verfügung stehenden Ressourcen.

0

Sozialdarwinismus:

1. Es ist schlicht falsch, dass arme Menschen immer etwas dafür können und nur die "Starken" reich werden.

2.Die Menschen, die den Begriff ernst meinen, sprechen oft im selben Atemzug von der Kürzung von Sozialleistungen, o.Ä.