Vor und Nachteile der attischen Demokratie ( direkte Demokratie )?

1 Antwort

Eine Angabe von Vorteilen und Nachteilen ist nicht völlig frei von einer Beurteilung und dabei können sich unterschiedliche Standpunkte und politische Weltanschauungen auswirken. Während Anhänger einer Demokratie an der athenischen Demokratie für vorteilhaft halten demokratisch zu sein, ist dies für Gegner einer Demokratie ein Nachteil. Ich versuche, einige Einfälle zusammenzutragen.

Vorteile

  • Verwirklichung von Demokratie (Volksherrschaft): Die Macht geht in starkem Ausmaß vom Volk aus, Entscheidungen sind durch Abstimmungen nach Mehrheitsprinzip legitimiert. Die Vollbürger trafen mit ihrer Stimmabgabe die wichtigen Entscheidungen selbst, statt alle paar Jahre Vertretern (Repräsentanten) ihre Stimme zu geben, damit sie Abgeordnete in einem Parlament werden.

Direkte Demokratie funktioniert selbstverständlich eher in einer antiken Polis, also keinem Staat mit einer riesigen Fläche und einer sehr hohen Anzahl von Bürgern

  • hoher Grad an Teilhabe (Partizipation) der Bürger: Eine direkte umfassende Bestimmung durch die Bürger selbst stand im Mittelpunkt. Das Losverfahren für die meisten Ämter (für einige, die besondere Fähigkeiten erforderten, gab es Wahlen, z. B. die 10 Strategen, Architekten und Bauaufseher, hohe Finanzbeamte) sorgte für Gleichheit unter den Bürgern, Verhinderung von übergroßer Machtkonzentration und Machtmißbrauch, Vermeidung von Korruption (vor allem bei den Gerichten konnte so die Anfälligkeit für Bestechung eingeschränkt werden).

An der Politik konnten alle athenischen Vollbürger teilhaben, ohne Einschränkung durch Abstammung oder Besitz. Ausgeschlossen waren Frauen, nicht Volljährige (unter 18 Jahren), Metöken (griechisch μέτοικοι [metoikoi], „Mitbewohner“) – ein Metöke (μέτοικος [metoikos]) war ein in Athen ansässige Fremder/Ausländer mit festen Wohnsitz, aber ohne athenisches Bürgerrecht – und Sklaven.

Dies ist allerdings eine gesellschaftliche Sache. In anderen Staaten der damaligen Zeit hatten diese Gruppen auch nicht das Recht der politischen Teilhabe. Ein Mindestalter ist eine nachvollziehbare Voraussetzung. Ausländer haben auch heute nur ausnahmsweise Wahlrecht (z. B. Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union). Frauenwahlrecht hat es in den modernen Staaten mit indirekter (repräsentativer) Demokratie anfangs auch nicht gegeben. In den USA gab es zunächst Sklaverei und Sklaven waren auch von politischen Rechten ausgeschlossen. Die Nichtbeteiligung war nicht durch eine bestimmte einzelne Staats- und Regierungsform verursacht, sondern eine allgemeine Angelegenheit des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems.

  • viel Gleichheit: In der Volksversammlung hatte jeder Vollbürger Rederecht und konnte einen Antrag stellen. Unter den Bürgern war politische Gleichheit τὸ ἴσον = das Gleiche) mit Abwechslung von Herrschen und Beherrschtwerden grundlegend. Eine starke Spaltung zwischen Regierenden und Regierten wurde so vermieden.
  • Freiheit: Ein freiheitliche Gefühl durch Wegfall einer starken Regierung bot Möglichkeiten mündiger Lebensgestaltung, bei Anerkennung des Gesetzes als Schranke und der Gültigkeit von Mehrheitsbeschlüsse (ablehnend wird die Freiheit von Gegnern der Demokratie als leben zu können, wie jeder wünscht, mit Willkür und Zügellosigkeit gedeutet).
  • hohes Ausmaß an rechtlicher Absicherung der politischen Ordnung, durch Gesetzesbestimmungen, Pflicht zur Rechenschaftsablegung, Möglichkeit von Anklagen bei Verstößen
  • insgesamt betrachtet ziemlich gutes Funktionieren der athenische Demokratie mit verhältnismäßig großer Stabilität

Nachteile

Nachteile der direkten Demokatie der Athener können überlegt werden, allerdings sind sie teilweise Kehrseiten von Vorteilen und teilweise gibt es menschliche Schwächen, die von keiner Verfassung/Staats- und Regierungsform ganz beseitigt werden können. Anfälligkeiten, menschliche Fehler und Schwächen gibt es in allen gesellschaftlichen Gruppen. Eine indirekte (repräsentative Demokratie) bewirkt auch nicht von selbst, daß sich Gerechtigkeit und Sachkenntnis immer durchsetzen und hat ihre eigenen Kehrseiten im Vergleich zur direkten.

als Nachteile der direkten Demokratie Athens können geprüft werden:

  • Ein Mangel an Bildung, Sachkenntnis und Urteilsfähigkeit kann Auswirkung auf Ergebnisse haben, weil alle abstimmen dürfen.
  • Stimmung der Masse kann Anfälligkeit für Fehlentscheidungen bewirken.
  • Beim Auswahlprinzip für Richter und die meisten Beamten ist aufgrund des Losverfahrens Zufall beteiligt.
  • Ein Fehlen einer starken kontinuierlichen Regierung ist im System angelegt. Einzelne bzw. eine Minderheit sind gegenüber der Mehrheit nicht stark gesichert.

Albrecht  01.12.2011, 00:12

Zeitgenössische Gegner der athenischen Demokratie haben ablehnende Urteile und Einwände geäußert. Darin wird die Masse als ungebildet und ohne Sachverstand dargestellt, zügellos und willkürlich den jeweiligen Eingebungen folgend. Die Beschlüsse und Gerichtsurteile seien schlecht und ungerecht. Sie bereichere sich durch ungerechte Urteile und Diäten. Das Volk stelle sich über die Gesetze. Fehler und Schwächen haben nicht völlig gefehlt, aber diese antidemokratischen Angriffe (kaum bemüht, in sorgfältiger Abwägung Einseitigkeiten und Übertreibungen zu vermeiden) sind keine faire Beurteilung.

Bei den Gerichtsurteilen sind der Prozeß nach der Seeschlacht bei den Arginusen (Arginusenprozeß) und der Prozeß gegen Sokrates oft angeführte Fälle für Kritik, ebenso die sogenannten Sykophanten (der Ausdruck stellt jemand als gewerbsmäßigen Denunzianten hin; jeder freie Bürger war zu einer Anklage berechtigt und bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe ging diese an die Ankläger).

Tatsächlich war in der athenischen Demokratie die Menge nicht völlig inkompetent. Durch ständige Praxis sammelte sich Erfahrung. Die meisten Ämter setzen keine herausragenden Fähigkeiten voraus, durch eine Mehrzahl an Beteiligten gab es Kontrolle. Die Dokimasie (δοκιμασία [dokimasia], eine Überprüfung auf Mindestvoraussetzungen, die vor allem den Besitz des Bürgerrechts und kein Vorliegen von Unwürdigkeit betraf, konnte Extremfälle schlechter Moral und geistige Unzurechnungsfähigkeit herausfiltern.

Zur Absicherung gegen Überschreitung rechtlicher Normen gab es seit 415 v. Chr. die Möglichkeit einer Klage wegen Gesetzwidrigkeit (γραφὴ παρανόμων).

Ungünstige Entscheidungen einer Volksversammlung konnten aus einer Überschätzung der Machtmöglichkeiten Athens entstehen, z. B. bei der Sizilienexpedition im Peloponnesischen Krieg.

Informationen und Hinweise enthält:

Jochen Bleicken. Die athenische Demokratie. 2., völlig überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, vor allem S. 287 – 434 und S. 555 - 584

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