Kant verleiht dem moralischen Gesetz den Charakter eines Naturgesetzes . Wie ist dies zu verstehen?

3 Antworten

Dies ist als Vorhandensein von Gemeinsamkeiten zwischen moralischem Gesetz und Naturgesetz nach Kants Auffassung zu verstehen.

gemeinsame Merkmale sind:

  • objektives Bestehen (objektiver Bestimmungsgrund des Willens bzw. der Objekte der Natur, nicht subjektive Beliebigkeit)
  • Erkennbarkeit mit Hilfe von Verstand und Vernunft
  • Allgemeingültigkeit innerhalb ihres Geltungsbereichs (das Gesetz gilt für alle Vernunftwesen, immer und überall, nicht nur für einen Teil)
  • strenge Verbindlichkeit (das moralische Gesetz darf nicht übertreten werden, das Naturgesetz kann nicht übertreten werden)


Was das moralische Gesetz gebietet, besteht nach Kants Ethik (Moralphilosophie) für die Menschen als ein im kategorischen Imperativ ausgedrücktes Prinzip.

Ein kategorischer Imperativ ist ein unbedingter, allgemeingültiger Imperativ (ein Gebot) und enthält eine Maxime (ein subjektiver Grundsatz), die sich als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft eignet, als moralisches Gebot. Ein kategorischer Imperativ gilt für alle Vernunftwesen, immer und überall. Es besteht eine Pflicht, als vernunftbegabtes Wesen dem moralischen Gesetz zu folgen, weil dies die Achtung vor dem mittels der Vernunft eingesehenen Gesetz gebietet.

Es gilt jeweils, die Maxime einer Handlung darauf zu überprüfen, ob sie als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft sowohl widerspruchsfrei gedacht als auch widerspruchsfrei gewollt werden kann.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785/1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV 424/BA 57:  
„Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurtheilung derselben überhaupt. Einige Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei anderen ist zwar jene Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes erhoben werde, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen würde.“

Es gibt mehrere Formeln (Formulierungen) des kategorischen Imperativs, wobei die allgemeine die grundlegende ist und andere Formeln den kategorischen Imperativ nur anders ausdrücken, um die Idee der Anschauung und dem Gefühl näher zu bringen.

Die Formel mit dem allgemeinen Gesetz (Universalisierungsformel) richtet
sich auf die Einheit der Form des Willens (seine Allgemeinheit).

Die Naturgesetzformel richtet sich auf die Übereinstimmung in einem
Gesamtsystems (Allheit), zu der die Naturordnung eine Analogie
(Ähnlichkeit, Entsprechung) darstellt.

Die Menschheitszweckformel/ Zweck-an-sich-selbst-Formel bezieht sich auf Zwecke als Gegenstände des Willens.

Formel mit dem allgemeinen Gesetz/Universalisierungsformel

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 421/BA 52:  
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788). Erster Theil. Elementarlehre der reinen praktischen Vernunft. Erstes Buch. Die Analytik der reinen praktischen Vernunft. Erstes Hauptstück. Von den Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft. II. Von der Befugniß der reinen Vernunft im praktischen Gebrauche zu einer Erweiterung, die ihr im speculativen für sich nicht möglich ist. § 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft. AA V, 30/A 54:  
„Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Naturgesetzformel


Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 421/BA 52:  
„Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 437/BA 81 – 82:  
„Weil die Gültigkeit des Willens, als eines allgemeinen Gesetzes für mögliche Handlungen, mit der allgemeinen Verknüpfung des Daseins der Dinge nach allgemeinen Gesetzen, die das Formale der Natur überhaupt ist, Analogie hat, so kann der kategorische Imperativ auch so ausgedrückt werden: Handle nach Maximen, die sich selbst zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstande haben können.

Wenn Menschen allgemein den Grundsätzen folgten, deren Regel vom kategorischen Imperativ vorgeschrieben ist, käme ein Reich der Zwecke zustande, das in seiner Anordnung Ähnlichkeit mit einem Reich der Natur hat. Aus der Eignung eines Grundsatzes, sich in eine gedachte widerspruchsfrei zusammenstimmende Naturordnung (in der Vorstellung entworfen, Urheber der Natur in einer Gesetzgebung zu sein) einzufügen, kann ihre Einfügbarkeit in die reine praktische Vernunftordnung gefolgert werden.

Menschheitszweckformel/Zweck-an-sich-selbst-Formel


Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 428/BA 64 - 65:
„Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen, sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 429/BA 66 - 67:
„Der praktische Imperativ wird also folgender sein: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 433/ BA 74 – 75:
„Denn vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786). Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 434/BA 77 - 78:  
„Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst, und dies zwar nicht um irgend eines anderen praktischen Beweggrundes oder künftigen Vorteils willen, sondern aus der Idee der Würde eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt.“








Albrecht hat ja ausgezeichnet beschrieben, was sich Kant dabei dachte.

Als Naturwissenschaftler habe ich mit dem Gedanken erhebliche Probleme, dass moralische Gesetze gleichrangig sein könnten. Ganz einfach deswegen, weil sie sich nicht der Falsifizierung stellen. Grob gesagt: In der Philosophie darf jeder alles behaupten. Und dann wird abgestimmt. Kant hat viele Anhänger - aber wenn wir Physik mit Abstimmungen betreiben würden, wären wir noch bei der Astrologie :-)

Also der Versuch einer Falsifizierung: Das Kant irrt, zeigen die Ergebnisse der Spieltheorie (echte Mathematik und damit Naturwissenschaft) und der Evolution. Natürlich kann eine Gesellschaft nicht optimal sein, wenn jeder nur an sich denkt! Aber sie braucht sinnvollerweise auch ein paar Individuen, die gegen den Strom schwimmen! Denn nur so entwickeln sich überhaupt moralische Gesetze und gesellschaftlicher Fortschritt. Gäbe es keine Diebe, gäbe es keine Gesetze. Gäbe es keine Mutationen, gäbe es keine Evolution.

Wir brauchen also Individuen, die gegen die moralischen Gesetze verstoßen! Und das ist ein Widerspruch, wenn man Universalität fordert.

Q.e.d.

Dass das übrigens tief in uns verankert ist, zeigt der Erfolg von Dystopien, bei denen alle Menschen zwangsweise gut sein müssen :-)

dies betont die bedeutung der moralischen gesetze; denn naturgesetze waren dem damaligen verständnis der welt nach unabänderlich fixiert und galten immer und überall