Kann mir jemand helfen diese Definition zu verstehen?

10 Antworten

Hallo Tinkerbell3007,

wie Hesse das verstanden wissen will, weiß ich nicht. Wie ich das verstehe:

Man kann in drei Sichtweisen denken:

  • Ebene des Messbaren: Ich denke eindimensional-flach nur auf der Ebene: Was ist beweisbar? Was lässt sich mit wiederholbaren Versuchen wissenschaftlich belegen?

  • Religiöse oder Sinnebene: Über das Messbare hinaus mache ich mir Überlegungen über Sinn, Gründe und Ziel. Das ist nicht mehr messbar. Gebiete wären hier etwa Dichtung, Philosophie, Ethik, Moral.

  • Glaubensebene: Ich stelle mir die Fragen, ob es über den natürlichen Bereich mehr gibt. Was ist Sinn meines Lebens überhaupt, kann ich nach dem Tod etwas hoffen, gibt es einen persönlichen Gott? - Hier ist die Stelle der Religion (nicht zu verwechseln mit "religiöse Ebene"),

Die zweite und dritte Ebene ist nicht mehr beweisbar. Sie ist auch nicht mehr Gebiet der Wissenschaft.

In der dritten Ebene kann ich dann in Bildern sprechen. Dazu nur ein Beispiel (siehe Bild eines Schülerarbeitsblattes): Drei Israeliten sitzen am Roten Meer. Alle drei haben das gemeinsame Erlebnis, dass ihre Flucht vor den Ägyptern gut ausgegangen ist. Jeder der drei denkt in einer anderen Ebene.

Die Texte des Alten Testaments bewegen sich daher als Glaubensaussagen nicht mehr im flach Rationalen, sondern vielfach in kräftigen orientalischen Bildern, die keinen Anspruch auf Historizität haben, aber mit ihren Aussagen auch nicht der ratio widersprechen.

Israeliten am Roten Meer. - (Religion, Zitat, Deutung)

Hesse sagt, dass wir Religion in das flache Rationale übersetzen. Das heißt, dass wir jedes Geheimnis, das wir nicht verstehen, aus der Religion entfernen und nur das behalten, was unserem Verstand einleuchtet. Und was mit dem Verstand nicht zusammenpasst, wird eben passend gemacht, so dass nichts Wunder-haftes mehr übrigbleibt. Als Beispiel:

  • Man sagt, Jesus hat den Menschen liebevolle Aufmerksamkeit geschenkt, dadurch wurden bei den Menschen ihre Selbstheilungskräfte aktiviert und sie wurden spontan gesund.

  • Man sagt, Jesus ist zwar über das Wasser gegangen, aber er wusste, wo die Steine lagen.

  • Bei der Brotvermehrung blieb zwar hinterher mehr übrig als vorher überhaupt da war, aber das lag daran, dass jeder von zu Hause was mitgebracht hatte und jetzt auf die Idee kam, mit den anderen zu teilen.

Bei einer solchen Deutung bliebe das Ganze doch relativ flach und banal. Das Unsagbare, das stattdessen mittels dieser Geschichten und Bilder ausgedrückt werden sollte, versteht man gar nicht mehr. Man denkt, es kann keine Wunder geben, also macht so eine Erzählung keinen Sinn. Es widerspricht den Naturgesetzen, dass ein Mensch über das Wasser laufen kann, also ist das ein frommes Märchen.

Wenn man diesen Schluss zieht, dann verpasst man, was eigentlich ausgesagt werden sollte.

Man kann genauso gut sagen: Weil es unmöglich ist, über das Wasser zu laufen, und weil das doch alle wissen, dass das nicht geht, muss diese Geschichte, wenn sie ernstgemeint ist, doch was ganz anderes sagen wollen. Dann ist das Wasser ein Bild für etwas Abstraktes, vielleicht für etwas Bedrohliches, vielleicht für jeden Menschen etwas anderes Bedrohliches, und weil man mit dieser Geschichte jedem die Möglichkeit geben will, seine eigenen Ängste dort hineinzulesen, belässt man es bei dem Bild des Wassers.

So bleibt das Geheimnisvolle, das uns trotz der voranschreitenden Wissenschaften umgibt, erhalten, zumal jeder Mensch an sich ein Geheimnis bleiben wird, das man nicht mit Gen-Entschlüsselung und normierten Psycho-Tests enträtseln kann. Noch weniger können wir das verstehen, was jenseits von allem ist.

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte".

Hesse unterstellt, daß der Verstand nicht ausreichend wäre, das "Unsagbare" zu fassen und zu beschreiben. Wobei das "Unsagbare" immer nur am Defizit des Sagenden zu messen ist, das wahre Wesen der Dinge zu erkennen und zu verstehen.

Was Menschen früher unsagbar erschien, also im Sinne von unerklärlich, ist heute längst Allgemeinbildung. Wir wissen, wie Regenbögen entstehen und benötigen das "Bild" einer religiösen Verbrämung als ein Zeichen irgend einer imaginären Gestalt nicht mehr, um das früher Unsagbare auszudrücken.

Im Gegenteil zu Hesses Aussage sind es die Mythen und Religionen, die flach und eindimensional auf die Welt schauen. Erst die Ratio erschließt das Wesen der Dinge in seiner tatsächlichen Tiefe.


earnest  30.10.2014, 17:20

Ich gaube nicht, sausi, daß sich z.B ein Gedicht nur mit der Ratio erfassen läßt.

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Skeletor  31.10.2014, 12:32
Gedicht nur mit der Ratio erfassen

Emotionen sind doch nicht irgend etwas übernatürliches oder mystisches.

Wohl aber lässt sich mit dem Verstand auch dieser Teil des Gedichts betrachten, erforschen, beschreiben und erfahren.

Eine Gänsehaut ist ebenso rational erfahr-, erklär- und beschreibbar wie eine Erektion.

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gottesanbeterin  31.10.2014, 13:39
@Skeletor

Doch kann niemand erklären, warum nur Bestimmtes eine Gänsehaut hervorruft und was dieses Bestimmte so besonders macht, dass es eine Gänsehaut verursacht.

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realsausi2  31.10.2014, 13:56
@gottesanbeterin

Eher nichts. Deswegen frage ich ja Dich, ob Du etwas daraus schließen kannst. Oder ist das geheim?

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earnest  31.10.2014, 14:08
@Skeletor

@Skeletor:
Naja, bei mir gab es schon ziemlich unerklärliche Gänsehäute.
Und was die Nr. 2 betrifft, da schweig ich jetzt mal lieber ...
;-)

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Zunächst muss man wissen, dass Hermann Hesse ein Mensch war, der an eine höhere Macht geglaubt hat.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Hesse

Ein weiterer wesentlicher Aspekt in Hesses Werk ist die Spiritualität, die sich vor allem (aber nicht nur) in der Erzählung Siddhartha finden lässt. Indische Weisheitslehren, der Taoismus und christliche Mystik bilden seinen Hintergrund. Die Haupttendenz, wonach der Weg zur Weisheit über das Individuum führt, ist jedoch ein typisch westlicher Ansatz, der keiner asiatischen Lehre direkt entspricht, auch wenn durchaus Parallelen im Theravada-Buddhismus zu finden sind.

Hesse kritisiert im vorliegenden Zitat Materialismus und Atheismus, die versuchen "jene Unsagbarkeit" in das "flache Rationale" zu ziehen. Hesse versieht das Wort "Rationale" also mit der negativen Konnotation von "flach" (im Sinne von oberflächlich). Zugleich lobt Hesse hier Religionen, Mythen und Dichtungen für ihren Versuch "jene Unsagbarkeit" in Bildern auszudrücken. Zur weiteren Verdeutlichung seiner Position versieht Hesse nur den Versuch von "ihnen" (gemeint ist der Materialismus im Gegensatz zu den Religionen, Mythen und Bildern) mit dem Wort "vergeblich".

Aber was soll "jene Unsagbarkeit" sein, die Hesse hier meint? Wenn es wirklich unsagbar ist, dann kann natürlich auch ich das Geheimnis von dem Hesse spricht, nicht beschreiben. Aber ich denke es geht um das Verhältnis Materie, Bewusstsein, Geist, freier Wille, ich, selbst, Gott und Götter, Leben nach dem Tod, Reinkarnation u.s.w.

Hesse sagt also: "Religionen, Mythen und Gedichten können das Geheimnis aller Geheimnisse prima in Bildern ausdrücken, während Materialismus und Atheismus mit ihrer Antwort bekunden, dass sie das Problem gar nicht erkannt haben." (Ist jetzt die Meinung von Hesse, nicht von mir.)


gottesanbeterin  31.10.2014, 13:48

Zunächst muss man wissen, dass Hermann Hesse ein Mensch war, der nicht an eine höhere Macht geglaubt hat, sondern mit dem Höchsten Absoluten verbunden war., was bedeutet, dass er wusste, nicht glaubte!

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WotansAuge  31.10.2014, 13:51
@gottesanbeterin

So wie du es ausdrückst, ist es zwar für gläubige Menschen exakter ausgedrückt, aber Atheisten hätten damit Probleme. Ich wollte einfach nur neutral wiedergeben, was Hesse gesagt und gemeint hat. Wenn wir hier die Wahrheit des Zitats diskutieren wollten, hätten wir viel zu tun.

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Ich verstehe das so:
Religionen, Mythen und Dichtungen sind Versuche, das Unerklärliche zu erklären.
Religionen, Mythen und Dichtungen kann man allein mit dem Verstand nicht erfassen.

Gruß, earnest