Fachfrage: Verwandtschaft von Hasenartigen zu Nagetieren und Huftieren?

4 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Seit man die Lagomorpha zu Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Gruppe der Rodentia herausgelöst hat, wurden sie im Stammbaum der Säugetiere hin- und hergeschoben. Aus dieser Zeit stammt sowohl die Ansicht, dass sie in der verwandtschaftlichen Nähe der Huftiere stehen, als auch die Ansicht, dass sie mit den Rodentia zu den Glires zusammengefasst werden können. Die Diskussion ist also alles andere als neu.

Heute gilt die Monophylie der Glires durch molekulargenetische und morphologische Studien als gut abgesichert. Wikipedia bezieht sich auch auf diese Studien und führt deshalb die Lagomorpha als Schwestergruppe der Rodentia auf. Allerdings liefern halt einige wenige Tests widersprüchliche Ergebnisse, darunter auch der Serum-Präzipitin-Test. Die originale Arbeit über die Ähnlichkeiten im Blutserum bei Hasenartigen und  Huftieren findest du übrigens hier: 

http://www.jstor.org/stable/2405449?seq=1#fndtn-page_scan_tab_contents

Die einfachste Erklärung für das damalige Ergebnis wäre, dass die von den Autoren getesteten Arten nicht geeignet waren, die Verwandtschaftsverhältnisse ihrer übergeordneten Gruppen darzustellen - es ist ja bekannt, dass abweichende Mutationsraten bei verschiedenen Spezies Verwandtschaftstests verfälschen können. Wäre dies der Fall gewesen, würde das die Glires-Hypothese ebenfalls bestätigen.

Die meisten Ergebnisse sprechen also für eine enge Verwandtschaft von Lagomorpha und Rodentia (wobei eng relativ ist, denn beide Gruppen trennten sich schon vor min. 80 Mio. Jahren), auch wenn die Hintergrundinfos auf den Seiten von Kaninchenzüchtervereinen oft etwas anderes sagen. Hier hat wohl einer vom anderen unkritisch abgeschrieben, und so verbreiten sich dann Fehlinformationen.


AliasX 
Fragesteller
 03.05.2016, 20:50

DAS ist die Antwort, nach der ich gesucht hab. Super! Hätte ich mir eh schon denken können, dass Wikipedia am Ende des Tages bei solchen Dingen doch noch die zuverlässigste Quelle ist. 

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MarkusKapunkt  03.05.2016, 20:58
@AliasX

Gute Antwort! Obwohl ich meine, dass sich Rodentia und Lagomorpha erst später, also vor 70-65 Millionen Jahren voneinander trennten. :-)

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DiegoderAeltere  03.05.2016, 22:28
@MarkusKapunkt

@AliasX Freut mich, dass ich helfen konnte! Wikipedia ist meist recht vertrauenswürdig, aber die Artikel dort sind alles andere als perfekt. Wie in jeder Enzyklopädie findet man bei genauerem Hinsehen in jedem Eintrag kleine Fehler. Im Zweifelsfall sollte man sich deshalb aus zitierfähigen Quellen informieren.

@Markus Danke! Zumindest können wir den Zeitraum auf die Kreide eingrenzen. Die molekulare Uhr ergibt je nach untersuchten Spezies und Gensequenzen und angewandten Methoden Zeiträume zwischen 65 und über 100 Millionen Jahren, im Mittel also etwa 80 Millionen. Da aber die Art Alymlestes kielanae auf 85 Millionen Jahre datiert und recht eindeutig den Hasenartigen zugeordnet werden konnte, würde ich die Trennung eher früher als später ansetzen.

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Nein, das ist nicht richtig.

Zwar hatten Paarhufer und Nagetiere durchaus einen gemeinsamen Vorfahren, da aber sowohl Hasenartige und Huftiere bereits seit dem Paläozän fossil belegt sind, sind sie aus heutiger Sicht nicht sehr eng miteinander verwandt - Die Trennung muss vor weit mehr als 60 Millionen Jahren erfolgt sein, denn damals lassen sich bereits mehrere Vertreter beider Taxa fossil nachweisen. Wahrscheinlich trennten sie sich bereits in der oberen Kreidezeit vor 95 - 85 Millionen Jahren voneinander, was in der Evolution schon eine recht beachtliche Zeitspanne ist.

Die engsten Verwandten der Hasenartigen sind nach den Nagern die Spitzhörnchen, die Risengleiter und die Primaten, die sich alle entwickelt haben, NACHDEM sich die Huftiere bereits von ihnen abgespalten hatten. Das Kaninchen ist also enger mit dir verwandt als mit einer Kuh.

Die nächsen Verwandten des Taxons, das Nager, Hasenartige, Primaten, Spitzhönchen und Riesengleiter umfasst, sind allerdings dann tatsächlich die Laurasiatheria, zu denen neben den Paarhufern auch die Insektenfresser, Fledertiere, Unpaarhufer, Wale, Schuppentiere und Raubtiere inklusive der Robben gehören.

Nach dem Ende der Kreidezeit 66 Millionen Jahren erlebten aber alle Überlebende des Massenaussterbens eine sehr schnelle Radiation, die man schon als explosiv bezeichnen kann. Alle heutigen Säugetierfamilien haben sich damals recht schnell entwickelt und im Laufe von nur wenigen Millionen Jahren die freigewordenen ökologischen Nischen der Dinosaurier besetzt. Schon kurz nach ihrem Verschwinden lassen sich die meisten heute bekannten Säugetierfamilien fossil nachweisen, jedoch sind ihre genauen Verwandtschaftsverhältnisse immer noch Gegenstand der Forschung. Die moderne Technologie wird uns mithilfe der genetischen Untersuchungsmethoden sicher noch neue spannende Erkenntnisse liefern.


AliasX 
Fragesteller
 03.05.2016, 20:42

Ist mir alles klar, nur haben diverse Quellen das eben in Frage gestellt. Jemand anderes konnte da Licht ins Dunkel bringen, trotzdem Danke für deine Mühe. 

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zunächst mal:

mit wikipedia als quelle sollte man immer vorsichtig sein und sie nur nennen, wenn man genau WEISS, dass der infrage kommende artikel wirklich wahrheitsgemäss ist - manchmal sträuben sich einem echt die haare, was da alles als tatsache gepostet wird.

ich beschäftige mich seit einiger zeit nebenher mit einem - ähnlichen thema.

leider ist über mein "steckenpferd", die kantschile, nicht allzuviel aus dem netz zu graben.

rein optisch sehen die kantschile, besonders der fleckenkantschil, den vorfahren der heutigen pferde sehr ähnlich. die lebensweise des fleckenkantschils, besonders sein fluchtverhalten ist - einzigartig für ein huftier. und für einen paarhufer schon überhaupt.

eine direkte gemeinsamkeit wäre das lebenslange wachstum der bleibenden zähne. aber das haben nagetiere ja auch. allerdings sind nagetiere keine nestflüchter -  die allermeisten huftiere hingegen schon. und selbst ein rehkitz könnte, wenn es müsste.

mit der blutzusammensetzung kenne ich mich ehrlich gesagt nicht so richtig aus. was den kantschil betrifft, werde ich mich wohl mal mit dem zoo frankfurt in verbindung setzen - die sind im zuchtprogramm und wissen vielleicht auch mehr über die verwandtschaften. sicher auch für mich mal ein grund, einen tauchgang richtung genetische verwandtschaft und diese forschung zu unternehmen - auch wenn ich es etwas "dröge" finde.

das einzige, was dich tatsächlich weiterbringen würde, wäre den missing link zu suchen.

immerhin - auch das pferd war anfangs kein huftier, sondern hat sich erst im laufe der evolution als solches entwickelt. rein optisch würde ich den kantschil - wüsste ich es nicht besser (die hufe sind wirklich winzig) auch zunächst unter hasenartig einordnen.

https://www.youtube.com/watch?v=13GQbT2ljxs

ich würde mich an deiner stelle an entsprechende forschungseinrichtungen wenden. kontakte kannst du sicher über entsprechende zoos mit forschungs- oder zuchtprogrammen finden.

ich fürchte, das ist nicht so sehr hilfreich - aber ich hab mein bestes gegeben.

vielleicht findest du auch noch weitere hinweise in einer liste der in der neuzeit ausgestorbenen tiere. ich häng sie mal zur info als kommentar dran.


Die Ansicht, dass die Hasenartigen aufgrund der Zusammensetzung des Blutserums mit den Huftieren verwandt sind, stammt aus den 1960er Jahren oder noch früher und findet sich so schon in Grzimeks Tierleben (1970). Diese Ansicht ist veraltet. Seit mindestens 20 Jahren, also seit man DNA-Analysen zur Verwandtschaftsbestimmung verwendet, sind sich eigentlich alle Fachleute darin einig, dass die Hasenartigen die Schwestergruppe der Nagetiere sind. 

Was war das denn für ein Artikel, der das mit den Huftieren heute noch als neue Erkenntnis verkauft?


MarkusKapunkt  03.05.2016, 18:42

Kein seriöser, soviel ist sicher.

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AliasX 
Fragesteller
 03.05.2016, 20:44
@MarkusKapunkt

Kann ich nicht mehr genau sagen, aber nach dem, was ich im Web gefunden habe, wird das Zeug immer wieder neu aufgewärmt. Gut, jetzt die definitive Bestätigung zu haben, dass es falsch ist.  ;-) 

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pony  03.05.2016, 22:30
@AliasX

@raimas: hättest du da eventuell eine seriöse quelle, studie, buch, wissenschaftliche artikel oder ähnliches?

mich interessiert das thema ebenfalls - aus anderem grund... und ich stecke derzeit fest, was neue infos und erkenntnisse angeht.

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raimas  04.05.2016, 09:36
@pony


Die Blutserum-Studie hat ja DiegoderAeltere schon gefunden. Zu der Glires-Hypothese hab ich auf die Schnelle folgendes:

Eine neuere Arbeit auf morphologischer Basis ist 

O'Leary et al. (2013) The Placental Mammal Ancestor and the Post–K-Pg Radiation of Placentals. Science  08 Feb 2013: Vol. 339, Issue 6120, pp. 662-667 DOI: 10.1126/science.1229237

Eine Studie mit DNA-Daten ist:

Bininda-Emonds, et al. 2007. The delayed rise of present-day mammals. Nature 446, 507-512.
http://www.utheria.org/uploads/nature05634.pdf

Der englische Wikipedia-Artikel zu den Glires enthält einige Quellen:

https://en.wikipedia.org/wiki/Glires

Ein Artikel von Darren Naish auf Tetrapod Zoology enthält auch eine Literaturliste, auch wenn es nicht primär um Glires bzw. Lagomorpha geht. Vielleicht findest Du da was:

http://blogs.scientificamerican.com/tetrapod-zoology/refined-fine-tuned-placental-mammal-family-tree/


Es ist richtig schwer, etwas zu finden, was keine Schwestergruppenbeziehung zwischen Hasen und Nagern darlegt.











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