Ensatina Salamander Artdefinition?

2 Antworten

Moin,

tja, das liegt wohl daran, dass es nicht so einfach ist, den Begriff "Art" zu definieren. Im Grunde kannst du (mindestens) vier Konzepte unterscheiden. Da gibt es...

  • ... das Morphospezies-Konzept,
  • ... das Biospezies-Konzept,
  • ... das Ökospezies-Konzept und
  • ... das Chrono- oder Palaeospezies-Konzept.

Ich weiß zwar nicht, wo genau du nachgeschaut hast und was dort zu lesen war, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Definitionen widersprochen haben. Was ich mir dagegen gut vorstellen kann, ist, dass dort verschiedene Aspekte angeführt waren, denn genau das ist ja der Grund dafür, dass es verschiedene Art-Konzepte gibt.

Die folgenden Ausführungen sind sehr lang, weil sie nicht nur das jeweilige Konzept definieren, sondern auch die Schwächen umreißen. Viel Spaß beim Lesen (sofern du Lust dazu hast)...

Das älteste Konzept ist das der Morphospezies. Es kann folgendermaßen definiert werden:

»Individuen gehören zu einer Art, wenn sie in wesentlichen Merkmalen des Körperbaus (Morphologie und Anatomie) übereinstimmen und sich darin von anderen Individuen (Arten) unterscheiden lassen.«

Man sammelt also möglichst viele Merkmale und beschreibt sie möglichst genau, so dass man am Ende anhand einer Vielzahl von Übereinstimmungen die Individuen zu Arten zusammenstllen kann, die in möglichst vielen dieser Merkmale übereinstimmen...

Das klingt zunächst einmal logisch und war daher auch die natürlichste (und damit ursprünglichste) Herangehensweise, um Arten zu identifizieren.

Aber dieses Vorgehen stößt auf etliche Probleme. So gibt es einerseits gar nicht selten Unterschiede zwischen den Geschlechtern einer Art (Sexualdimorphismus). Man würde zum Beispiel Frauen und Männer bei uns Menschen zwar jeweils untereinander als Artangehörige sehen, aber nicht, dass beide zwei teilweise verschieden aussehende Geschlechter ein und derselben Art sind. Selbst der große Systematiker Carl von Linné hielt ursprünglich die Weibchen und die Männchen der Stockente für zwei verschiedene Arten.
Ein anderer kritischer Punkt bei diesem Vorgehen ist, dass sich Individuen in ihrer Individualentwicklung zum Teil erheblich verändern. Man muss also erst alle Entwicklungsstadien eines Lebewesens kennen, sonst würde man die Larven und Imagines von holometabolen Insekten oder Kaulquappen und Frösche oder Polypen und Quallen bestimmter Nesseltierarten (usw.) jeweils nicht für Individuen einer Art halten.
Außerdem muss man Varietäten oder Modifikationen kennen und berücksichtigen, um sie als artzugehörig zu erkennen (Polyphänismus).
Und schließlich gibt es da noch das umgekehrte Phänomen. nämlich das Problem der Zwillingsarten, also solcher Individuen, die sich seeehr ähnlich sehen, aber tatsächlich nicht zur selben Art gehören. Auch dazu gibt es etliche Beispiele: Fitis und Zilpzalp, Garten- und Waldbaumläufer oder die sechs Fiebermückenarten, die morphologisch oder anatomisch praktisch nicht voneinander zu unterscheiden sind.

Aus all diesen Problemen heraus entwickelte sich nach und nach das Konzept der Biospezies, das heute am gebräuchlichsten ist, wenn man den Bgriff "Art" definieren möchte.
Dieses Konzept lautete ursprünglich einmal, dass Individuen dann zu einer Art gehören, wenn sie sich paaren und Nachkommen zeugen können.
Das Konzept klang zunächst wieder logisch, doch dann gab es bald wieder Probleme damit. So lassen sich beispielsweise Pferd und Esel durchaus paaren. Dabei kommen dann Maultiere (Mulis; Vater Esel, Mutter Pferd) oder Maulesel (Vater Pferd, Mutter Esel) heraus. Beide Kreuzungsprodukte sind lebensfähig, aber selbst zeugungsunfähig (steril). Deshalb wurde das Konzept schnell dahingehend erweitert, dass Individuen dann zu einer Art gehören, wenn sie sich paaren und fertile (fruchtbare) Nachkommen zeugen. Doch - wie sollte es anders sein - auch hier gab es überraschende Phänomene wie das, als in einem Zoo einst ein Raubtiergehege renoviert werden sollte und man daher gezwungen war, bestimmte Raubkatzen kurzzeitig zusammen unterbringen zu müssen. Deshalb sperrte man auch ein südamerikanisches Jaguarweibchen und einen afrikanischen Leoparden zusammen. Dann stellte sich heraus, dass beide einen fertilen Jaguparden hervorbrachten. Es gibt noch weitere Beispiele unter den Großkatzen der Gattung Panthera: Löwen und Tiger lassen sich kreuzen und zeugen die sogenannten Liger. Diese sind zwar steril, wenn es männliche Nachkommen sind, aber fertil, wenn es Weibchen sind. Verrückt, was?
Solche Vorfälle (und noch ein paar mehr) führten dazu, dass das Konzept heute folgendermaßen lautet:

»Individuen gehören dann zu einer Art, wenn sie zur gleichen Zeit in einem Verbreitungsgebiet vorkommen und zur gleichen Fortpflanzungsgemeinschaft (Population) mit einem gemeinsamen Genpool gehören und sich unter natürlichen Bedingungen paaren und dabei fertile Nachkommen zeugen.«

Die verkürzte Version dieses Biospezies-Konzepts lautet:

»Individuen gehören dann zu einer Art, wenn sie zu einer Population gehören und unter natürlichen Bedingungen fertile Nachkommen zeugen.«

Doch selbst das umfasst noch nicht alle biologischen Möglichkeiten. Wie geht man mit Individuen um, die uniparental (einelterlich) entstehen, also vegetativ oder parthenogenetisch entstehen? Was ist selbstbefruchtenden Zwittern? In solchen Fällen kann man schwerlich von Populationen oder Genpool sprechen, das es zu keinem Genfluss zwischen (bestimmten) Individuen kommt.
Hinzu kommt noch das Problem der sogenannten Rassenkreise. Das betrifft zum Beispiel die von dir in der Überschrift deiner Frage angesprochenen Ensatina-Arten. Ein Rassenkreis besteht aus einer Reihe von Rassen einer Art, deren einzelne Rassen Populationen bilden, die sich untereinander in überlappenden Verbreitungsgebieten paaren und fertile Nachkommen hervorbringen, wo es aber eine Anfangs- und eine Endpopulation gibt, die nicht mehr untereinander kreuzbar ist. Wie ist das aufzufassen im Biospezies-Konzept? Ein anderes bekanntes Beispiel ist das der Möwen rund um den Polarkreis...
Und auch das ist nicht das letzte aller Probleme in diesem Konzept. Es gibt Populationen, die ein überlappendes Verbreitungsgebiet haben und in dem sich die Individuen der Populationen paaren könnten, wobei fertile Nachkommen entstehen würden. Trotzdem kommt es nicht wirklich zu Paarungen, da die fertilen Nachkommen in zweiter oder gar noch späterer Generation gravierende Nachteile ihrer Fitness erleben würden. Es ist dann fast so, als "ahnten" die Individuen der jeweils anderen Population, dass die Investition in solche Paarungen in der Zukunft nachteilig wäre. In solchen Fällen kommt es nicht selten zu sogenannten Kontrastbetonungen in den Überlappungsgebieten. Das bedeutet, dass kleine morphologische Unterschiede in beiden Populationen in Überlappungsgebieten besonders ausgeprägt daher kommen, fast so, als sollten die Individuen auch optisch erkennen, von dieser Paarung abzusehen...

Kommen wir zum dritten Konzept:

Individuen haben bestimmte Ansprüche an die Umwelt. Umgekehrt macht die Umwelt gewisse Angebote an Lebewesen. Immer wenn alle Ansprüche von den Angeboten der Natur abgedeckt werden, kann es zur Ausbildung einer ökologischen Nische kommen. Aufgrund des Konkurrenzausschlussprinzips können keine zwei Arten dieselbe ökologische Nische besetzen. Arten kann man daher über ihre Rolle in einem Ökosystem definieren:

»Eine Ansammlung von Individuen, die zur gleichen Zeit im gleichen Verbreitungsgebiet eine ökologische Nische besetzen, gehören zu einer Art.«

Die Art ist ein Element im Naturhaushalt und beinhaltet ein entsprechendes ökologisches Programm. Das Nebeneinander verschiedener Arten bedarf also nicht nur der genetischen Sonderung durch Fortpflanzungsisolation, sondern setzt vor allem auch eine ökologische Sonderung und damit die Fähigkeit zur Konkurrenzvermeidung voraus.

Man könnte sich fragen, warum die Ausbildung von abgrenzenden Mechanismen gegenüber anderen Arten von der Selektion gefördert wird. Eine Erklärung ist, dass sich durch beliebige zwischenartliche Bastardierungen eine Vielzahl unverträglicher Genkombinationen ergeben würde. Bedeutungsvolle Genkomplexe würden zerrissen, Funktionskomplexe gestört und möglicherweise Entwicklungsprozesse gravierend beeinträchtigt werden. Überdies gingen möglicherweise einzigartige Anpassungsmerkmale an die Umwelt verloren.

Ein Beispiel: Die Witwenvögel Afrikas sind Brutparasiten. Sie bauen keine eigenen Nester, sondern legen ihre Eier in die Nester von Prachtfinken. Dabei sind verschiedene Arten der Witwenvögel an verschiedene Prachtfinken-Arten insofern spezifisch angepasst, als die Muster im Sperrrachen ihrer eigenen Jungvögel mit denen im Sperrrachen der Wirtsvogeljungen exakt übereinstimmen.

Die Prachtfinkeneltern erkennen angeborenermaßen ihr arteigenes Muster genau. Bei der Kreuzung verschiedener Witwenvögelarten ergaben sich Abweichungen in der Rachenzeichnung der Bastarde. Das führte dazu, dass die "Pflegeeltern" die Jungen nicht fütterten, sondern verhungern ließen.

Es wird also „belohnt“, ein auf die jeweiligen Umweltverhältnisse fein abgestimmtes Merkmalsgefüge zu haben, das gegen fremde Gene geschützt ist. Nur über die Ausbildung solcher getrennt bestehender genetischer Einheiten war es den Lebewesen möglich, gegebene ökologische Angebote derart intensiv zu nutzen.

Trotzdem stößt auch dieses Konzept auf ähnliche Probleme wie das Biospezies-Konzept, weil es ja in der Natur durchaus zu Bastardierungen kommt. Eine völlige Isolation der Arten untereinander gibt es nicht immer, vor allem dann nicht, wenn die Arten eng miteinander verwandt sind.

Gerade Gendrift und Genfluss sind nicht umsonst Evolutionsfaktoren, die eine Veränderung von Arten ermöglichen und damit die Biodiversität fördern.

Und das führt uns "zwanglos" zum letzten Art-Konzept, der Chrono- oder Palaeospezies.

Es ist heute eine anerkannte Tatsache, dass sich Arten (und ökologische Nischen) auf lange Sicht verändern. Es findet in diesem Zusammenhang auch dann Evolution statt, wenn keine neuen Arten hinzu kommen. Dieser dynamische Aspekt der Art wird in den Konzepten der Biospezies bzw. der Ökospezies nicht unmittelbar erfasst, da beide nur einen sehr kleinen Zeithorizont berücksichtigen. Unter Einbeziehung der zeitlichen Dimension gelangt man zum Konzept der Art als evolutive Einheit (Paläospezies). Zwischen den zeitlich getrennten Populationen, die sich in der Generationenfolge widerspiegeln, ist kein Genaustausch möglich. Also kann auch nicht festgestellt werden, ob sich die Individuen vom Anfang der Zeitlinie mit denen am Ende derselben kreuzen lassen, respektive ob sie fertile (fruchtbare) Nachkommen haben. Wichtig dabei ist allerdings, dass unabhängig vom Ausmaß der Änderung der Individuen innerhalb einer solchen Zeitlinie sich eine nicht aufspaltende evolutive Linie stets die gleiche Art bleibt. Artumwandlung alleine ist keine Artenbildung!

Hierzu zwei Anmerkungen: Wir Menschen neigen dazu, Unterscheidbares auch verschieden benennen zu wollen. Um dem Rechnung zu tragen, lassen sich verschiedene Formen einer zeitlichen Linie als verschiedene Rassen beschreiben und benennen. Dadurch werden die deutlichen innerartlichen Veränderungen in der Zeit herausgehoben und kenntlich gemacht.
Fossil in verschiedenen Schichten aus dem Pleistozän erhaltene Schneckenhäuser der Süßwasserschnecke Viviparus brevis auf der Insel Kos (Griechenland) zeigen, dass sich das Gehäuse im Laufe der Zeit sehr verändert hat. Da aber stets nur eine Sorte Gehäuse pro Gesteinsschicht zu finden ist, muss man von einer Formenreihe ausgehen, die zeigt, dass sich ein und dieselbe Art verändert hat. In einem solchen Fall spricht man von historischen Rassen und nicht von verschiedenen Arten.

Gibt es dann aber überhaupt Grenzen für die zeitliche Existenz von Arten? Es muss sie geben, denn trotz einmaliger Entstehung des Lebens lassen sich auf späteren Zeithorizonten klar voneinander getrennte Arten feststellen. Eine Art hört dann auf zu bestehen, sobald sie sich in zwei gegeneinander isolierte Arten aufgespalten hat. Mit dem Ende dieser „Stammart“ beginnt umgekehrt die Existenz von zwei „Schwesterarten“. Damit haben Arten eine Individualität in der Zeit, einen Anfang, eine nicht wiederholbare Geschichte und ein Ende. Das Ende liegt entweder in einer erneuten Aufspaltung oder im Aussterben.

Hier kommt meist schnell der Einwand, ob nicht die Stammart den Spaltungsprozess in Form einer der beiden Tochterarten „überleben“ kann. Es wäre doch theoretisch möglich, dass sich die eine Tochterart nicht von der Stammart unterscheidet. Dies mag so sein, aber Arten lassen sich eben nicht allein durch Merkmale definieren. Außerdem ist nicht der Vergleich zwischen Stammart und einer ihr ähnelnden Tochterart, sondern die Beziehung zwischen den zwei gleichzeitig existierenden Schwesterarten relevant. Man vergleiche das mit dem äquivalenten Teilungsprozess einer Zelle: Die Stammzelle beendet ihre eigene Existenz, indem sie bei ihrer Teilung in ihre Tochterzellen aufgeht...

So, nun bin ich am Ende der Synopse über die unterschiedlichen Art-Konzepte. Jedes dieser Konzepte hat seine Stärken und Schwächen. Keines berücksichtigt alle Möglichkeiten in einer (handhabbaren) Definition, weil das nicht möglich ist. Dafür gibt es einfach zu viele Ausnahmen und Sonderfälle. Andererseits berücksichtigt jedes für sich bestimmte Aspekte, mit denen man gerade gut arbeiten und somit weiterkommen kann. Die Schwächen eines Konzepts haben damit zu tun, dass es in der Biologie praktisch nichts gibt, was es nicht gibt. Oder wie sagt es doch der Schauspieler Jeff Goldblum in seiner Rolle als Dr. Ian Malcolm in der Jurassic-Park-Filmreihe so schön: »Das Leben findet (s)einen Weg!«

LG von der Waterkant


RaphaelDerProfi 
Fragesteller
 31.05.2019, 12:14

moin, vielen dank erstmal für die lange antwort. bin im moment leider ziemlich verwirrt, was die etlichen namen der konzepte angeht.

! das ökospezies konzept kann, ich persönlich, leider nicht zu einem mir bekannten konzept zuordnen, wie z.B. morphospezies konzept - morphologisches artkonzept.

ich soll anhand der ensatina salamander die verschiedenen artdefinitionen darstellen und auch den begriff ringspezies definieren.

! sind die o.g. artkonzepte die 4 gängisten? ich muss eine PP über das thema halten und wollte nun fragen, ob es schlau ist sich bzgl. der ensatina salamander auf alle 4 konzepte zu beziehen oder ob es schlau wäre 2-3 und wenn ja, welche konzpte zu nehmen.

zudem soll ich den einfluss der ökol. bedingungen kaliforniens auf die evolution der ensatina salamander erläutern. (Viele verschiedene salamander rund um central valley). Finde dazu leidern wenig im internet. gibt es da evrl irgendwelche tipps? :)

MFG und danke für die schnelle Antwort

0

Es gibt über 20 Artdefinitionen oder Artkonzepte, gebräuchlich sind aber nur drei bzw. vier:

  • das Biologische Artkonzept (BSC),
  • das Phylogenetische Artkonzept (PSC)
  • das Evolutionäre Artkonzept (ESC) sowie
  • das morphologische oder typologische Artkonzept.

Die ersten beiden Konzepte unterscheiden sich in der Praxis vor allem in der Behandlung von allopatrischen Populationen: Das BSC rechnet ähnliche, aber unterscheidbare allopatrische Populationen eher zur selben Art (meist als Unterarten), das PSC eher zu getrennten Arten (wobei man oft komplett auf Unterarten verzichtet). Dadurch kommt es bei Anwendung des PSC zu einer deutlich höheren Gesamtartenzahl.

Das ESC ist, vereinfacht gesagt, eine Kombination aus BSC und PSC.

Die Anwendung dieser Konzepte setzt voraus, dass die Verbreitung der Tierarten und ihre geografische Variation bekannt sind. Bei sehr vielen Arten, vor allem solchen, die nur von sehr wenigen Exemplaren bekannt sind (viele tropische Insekten, wirbellose Tiere), verfügt man aber nicht über diese Informationen. In diesen Fällen greift man auf das morphologische Artkonzept zurück und teilt Tiere anhand ihrer äußerlichen Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit in Arten ein. Das morphologische Artkonzept hat aber seit Darwin keine theoretische Grundlage mehr und ist eher eine "Sortierhilfe" als ein theoretisch durchdachtes Konzept.