Hallo FrageAntwort211,
das, was du beschreibst, klingt nach einer milden Form von Zwangsgedanken: Dir drängen sich Gedankeninhalte auf, die du unangenehm findest und die eine große Anspannung in dir auslösen. Gleichzeitig ist es so, dass du rational weißt, dass diese Gedanken eigentlich "Blödsinn" sind - du kannst ja sehr genau beschreiben, weshalb die Untersuchung notwendig ist. Ratschläge wie "Reiß dich zusammen" oder so helfen da dann einfach nicht - das versuchst du ja... Zwangsgedanken treten übrigens bei vielen Menschen im Leben mal vorübergehend auf. Die gute Nachricht ist also: Möglicherweise verwächst sich das nach einer gewissen Zeit von alleine.
Dein Problem ist also im Prinzip weder die Tatsache, dass deine Freundin zum Frauenarzt geht noch dass du diesen Gedanken hast. Dein eigentliches Problem ist die Anspannung, die das auslöst - und du willst diese Anspannung nicht aushalten müssen.
Der Trick bei Zwangsgedanken ist, nicht den INHALT der Gedanken zu verändern, sondern deine POSITION zu den Gedanken. Das, was dir gerade passiert (und was übrigens ganz normal ist, weil das unser aller Alltag ist), ist, dass du mit deinen Gedanken "verschmilzt", in sie "hineinfällst". Sie sind dann da und du lässt dich ganz von ihnen einnehmen. Du hast das Gefühl, dass du sie nicht kontrollieren kannst.
Und da habe ich die nächste gute Nachricht: Du musst sie gar nicht kontrollieren!
Streng biologisch genommen sind deine Gedanken Nervenimpulse, die dein Gehirn munter hin und herschießt. Und genau das möchte ich von dir, dass du es dir vollkommen wertfrei vorstellst, wenn sich dir diese Gedanken wieder aufdrängen: Es sind Impulse. Du kannst dir auch einen Fluss vorstellen, auf den du hinunterschaust und in dem das Wasser fließt - wie deine Gedanken. Oder Wolken, die am Himmel vorüberziehen. Vollkommen egal, welches Bild du dafür wählst. Da kommt dann der Gedanke: "Ich muss noch saugen..." Dann der Gedanke: "Hab ich heute eigentlich beim Einkaufen die Tomaten vergessen?" Dann der Gedanke: "Mist, ich hab mein Handyladekabel verlegt!" usw. ... Alles Nervenimpulse (oder Wasser in deinem Fluss oder Wolken an deinem Gedankenhimmel), und nichts davon bewertest du großartig als schlimm oder so. Und zwischen diesen Nervenimpulsen/Wassertropfen/Wolken kommt auch der Nervenimpuls/Wassertropfen/die Wolke: "Da schiebt ein fremder Mann seine Finger in sie rein!"
Rein faktisch gesehen unterscheidet sich dieser Nervenimpuls/Wassertropfen/diese Wolke nicht von den anderen (daher habe ich mich anfangs auf die Biologie bezogen)! Dein Gehirn macht das gleiche wie immer und das, was seine Aufgabe ist: Dir ständig Impulse zu schicken, damit du dich in deiner Umwelt zurechtfindest und deinem Leben geordnet nachgehen kannst. Das, was jetzt aber passiert, ist, dass du dich totaaal auf diesen Nervenimpuls einlässt und ihn als ganz, ganz furchtbar bewertest.
Tu das mal nicht. Lass diesen Gedanken kommen und lass ihn dann wieder gehen, wie alle anderen. Stell dir vor, du stehst über dem Gedankenfluss. Oder liegst entspannt auf der Wiese und schaust in die Gedankenwolken. Wenn dann der Gedanke wieder kommt, dass du ja diesen Frauenarzt-Gedanken, nicht haben solltest, dann betrachte auch diesen Gedanken wie einen Nervenimpuls wie alle anderen.
Das braucht tatsächlich etwas Übung. Es geht darum, sich nicht auf den Inhalt der Gedanken zu versteifen, sondern die Position zu den Gedanken zu verändern - nämlich dass du über ihnen stehst. Dass sie flüchtig sind. DU entscheidest, ob sie Bedeutung für dich bekommen oder nicht. Und so, wie du dich bisher dafür entschieden hast, dass der Gedanken ganz, ganz viel (negative) Bedeutung bekommen soll, kannst du dich auch dafür entscheiden, ihn als das zu sehen, was er ist: ein Nervenimpuls. Eine Gedankenwolke wie alle anderen.
Wie gesagt: Das braucht Übung! Das wird dir nicht von heute auf morgen gelingen, und das ist auch normal. Sei da also geduldig mit dir selbst.
Zwei weitere Dinge können noch helfen:
- Frage dich, welcher humanistische WERT hinter deinem Gedanken steht. Was verrät der Gedanke Positives über dich? Du möchtest nicht, dass jemand deine Freundin so anfasst... Vielleicht steht Beschützerinstinkt dahinter? Oder Sorge? Vielleicht möchtest du nicht, dass sie sich unwohl fühlt? Oder vielleicht sagt es aus, dass du ein besonders treuer Mensch bist? Vielleicht steht auch ein anderer Wert dahinter - du wirst es am besten wissen. Wie komme ich auf Werte? Weil wir nur Gedanken bewerten, die etwas mit unseren Werten zu tun haben. Alles andere bewerten wir eben als neutral und uninteressant. Aber dass du diesen Gedanken bisher nicht neutral und uninteressant fandest, verrät dir etwas über dich - nämlich dass da ein Wert von dir berührt wird.
- Konfrontiere dich mit der Situation. Besprich mal mit ihr, ob du sie zum Frauenarzt begleiten darfst. Bei manchen Ärzten darf man auch bei der Untersuchung dabei sein. Lass dir alles genau erklären, warum er macht, was er macht und wofür das gut ist. Wenn du die Dinge besser durchdringen und verstehen kannst, kann auch das deine Anspannung mildern.
Ich hoffe, ich konnte dir ein paar hilfreiche Impulse mitgeben. All diese Impulse kannst du auch in einer Psychotherapie vertiefen.
Liebe Grüße