Ostdeutsche Bezeichnung: Was ist ein Kunde?

9 Antworten

Ein Bißchen Alltagskulturgeschichte

Anfang der 70er Jahre bis ca. 1983 gab es in der DDR eine für das Land typische Erscheinung der Alltagskultur. Typen die rumliefen mit langen Haaren, einem Parka, "Jesuslatschen", einen breiten lila Kamm in der Gesäßtasche der mit einem Tic-Tack Aufkleber beklebt war. Dazu einen, aus besticktem Gardinenstoff genähten Beutel auf dem in der Regel eine spießige Szene mit Hirschen oder Bären abgebildet war, der sogenannte "Hirschbeutel". Diese Leute imitierten lange Zeit westliche Hippies, setzten aber vor allem ab Mitte der 70er Jahre auch eigene kulturelle Akzente. So soffen sie mangels Grass reichlich Wodka ("Vierzehnfuffzich" oder "Blauer Würger"). Trampten mit einer "Einstrichkeinstrich" Plane als Zelt und Schlafunterlage durch die DDR (was bei dem geringen Kfz Bestand nicht leicht, in dem allgegenwärtigen Kontrollsystem aber auch nicht sonderlich gefährlich war). Einige hielten sich im Dunstkreis von Fußballvereinen mit Nonkonform Image wie Union Berlin oder Chemie Leipzig auf ohne reine Sportfans zu sein. Selber nannte man sich (wenn man sich überhaupt selber benannte) untereinander Kunde. In den 80ern verschwanden dann die Kunden langsam, als sie in die Jahre kamen und die jungschen Typen sich eher als "heavy-metals", "popper", "Punks", bals auch "Skins" auftraten und die Kunden zum alten Eisen gehörten. Wobei einige bis zur Wende auf der Welle hängen geblieben sind und wenn sie auch nur noch den Hirschbeutel weiter mit sich rum trugen und die Haare langsam dünner wurden.

Im Berliner Raum ist von den Kunden der Spruch "watt isn det fürn Kunde" und "Kunden schickt det Arbeitsamt" übrig geblieben (ob in anderen Dialektgebieten auch was geblieben ist, ist mir nicht bekannt). Für alle Spießer, "Alte Säcke" und "Hundertprozentige" fielen die Kunden zusammen mit Blusern, Heavy Metals, frühen und späteren Punks unter den Sammelbegriff "Gammler". Widerständler waren die Kunden nicht (oder sehr selten), politisch meckerten sie zwar an den Zuständen rum und phantasierten manchmal (im Suff) auch politisch rum. Allgemein wollten sie aber "ihre Ruhe" haben, mit Politik und im System keinen Ärger kriegen.

Die Kunden waren wohl die einzige Jugendkultur Welle die nur in der DDR entstanden ist und ihren eigenen Stil und ihr eigenes Erscheinugsbild geprägt hat.

Ich glaube, diese zweite Bedeutung ist aber nicht nur auf Ostdeutschland bezogen- gibts hier auch, hab ich schon mehrfach gehört. Bedeutet soviel wie: "Was ist das denn für ne Type!"


Atrajanus 
Fragesteller
 27.11.2008, 12:43

merci dh

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Manche meinen das Wort "Kunde" eher als "Bursche", "Gauner" "zwielichte Figur" o.ä., kenne ich auch. Interessant, daß Du meinest das käme aus dem Osten. Habe ich noch nicht genauer beobachtet. Werde mal darauf achten.


Atrajanus 
Fragesteller
 27.11.2008, 12:40

ein kollege aus görlitz ist das

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Na ja - bei uns sagt man dann auch schon mal abwertend "das Freundchen" oder "den Kameraden" - und verändert damit des Wortes ursprüngliche Bedeutung entsprechend.


Atrajanus 
Fragesteller
 27.11.2008, 12:43

dankö dh

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@sharps54

Das ist viel älter. Siehe zb. bei Goethe im Faust II:

"Mir schaudert vor dem garstigen Kunden
Und seiner Rabentraulichkeit."

Ursprünglich war ein Kunde vorallem ein Bekannter oder Freund und in der Umgangssprache aufgelöst, ein Kerl. Stärker wertende und spöttische Varianten, wie oben, entstehen typischerweise wenn ein Wortgebrauch aus der Mode fällt. Die Verwendung in einigen Dialekten Ostdeutschlands, ist quasi ein Überbleibsel der ausgestorbenen Bedeutung des Wortes.

Auch der Duden kennt den Kunden als oft abwertend, für Kerl, Bursche oder Landstreicher. Ein schönes Beispiel findet sich in diesem Lied

"Wir sind Vagabunden,
verwegene Kunden
verwittert, zerknittert und zerzaust,
sind pikfeine Männer,
Ganoven und Penner,
verlottert, verludert und verlaust." 

Der Gebrauch ist aber nicht zwangsweise abwertend. So ist im Sächsischen die rhethorische Frage "Was bist du für ein Kunde?" je nach Betonung, entweder Verärgerung (über einen Idioten) oder Verwunderung (über einen pfiffigen Typen).