Wieso bestreiten insbesondere muslmische Frauen, dass sie sich von ihren Ehemann scheiden lassen dürfen, wenn dieser eine 2. Frau nimmt?

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Frauen müssen immer einen Prozess anstrengen und normalerweise darf der Ehemann bis zu vier Frauen heiraten, sofern er alle gleich behandeln kann:

Auch das auf Koran und Überlieferung gründende Scheidungsrecht benachteiligt die Frau gegenüber dem Mann: Die traditionelle Verstoßungsformel "Ich verstoße Dich", für die der Mann keinerlei Gründe benennen muss, reicht heute in vielen Ländern zwar nach staatlichem Recht nicht mehr aus. Dennoch wird sie teilweise weiter so praktiziert und dann auch vielfach gesellschaftlich anerkannt. Aber auch dann, wenn der Mann die Scheidung per Gerichtsprozess durchsetzen muss, ist sie für ihn nach wie vor einfacher als für die Frau. Sie muss - wenn sie überhaupt die Möglichkeit besitzt, eine Scheidung zu betreiben - immer einen Gerichtsprozess anstrengen und kann keine Verstoßung aussprechen. Sie benötigt zudem stichhaltige Gründe sowie meist Beweise für ein Fehlverhalten des Mannes, damit es zu einer Scheidung kommt. Vor allem gelten diejenigen Gründe als Fehlverhalten, die bereits die Scharia vorsieht, wie z. B. schwere geistige oder körperliche Krankheit, dauerhafte Erwerbslosigkeit bzw. Gefängnisaufenthalt, Vernachlässigung und Gewaltanwendung. Gleichzeitig wird eine Scheidung eine Frau häufig sozial stigmatisieren und wirtschaftlich in verzweifelter Lage zurücklassen. 
Auch die "widerrufliche" Scheidung ist dem Mann allein erlaubt, indem er die Scheidungsformel nur einmal ausspricht und seine Frau wochen- und monatelang in einem Schwebezustand zwischen Scheidung und Ehe halten kann. Die Entscheidung, ob der Ehemann spätestens vor Ablauf des vollendeten dritten Monats die Scheidung zurücknimmt und die Ehe fortsetzt oder den letzten Tag der Zurücknahmemöglichkeit einfach verstreichen lässt und die Frau als verstoßen gilt, liegt allein bei ihm. In den letzten Jahrzehnten haben allerdings etliche Länder die einfache Scheidung per Scheidungsformel für den Mann erschwert, indem z. B. nur dann Scheidungspapiere ausgestellt werden, wenn vor Gericht ein oder zwei Versöhnungsversuche nachgewiesen oder Vermittler berufen wurden.

Quelle: Die Scharia von Christine Schirrmacher, S. 44-45

Der eindeutigste Koranvers zur Polygamie findet sich in Sure 4,3 (...) Der Vers besagt mindestens zweierlei: Ein Ehemann kann über mehrere Eheschließungen mit bis zu vier Frauen hinaus zur gleichen Zeit auch eine unbegrenzte Zahl an eheähnlichen Verhältnissen mit (unfreien) Nebenfrauen eingehen. Außerdem ist der Ehemann zur gerechten Behandlung mehrerer gleichgeordneter Ehefrauen verpflichtet. Ein weiterer Vers aus Sure 4,129 bestätigt ausdrücklich, dass eine wirklich gerechte Behandlung mehrerer Frauen nachgerade unmöglich ist (...) Die Überlieferung warnt darüber hinaus denjenigen, der seine Ehefrauen nicht gerecht behandelt, dass er im Jenseits "halb gelähmt" sein werde.
Die Mehrzahl muslimischer Theologen interpretiert diese Verse dahingehend, dass der Koran zwar die Mehrehe erlaube, jedoch unter der Maßgabe, dass alle Frauen "gerecht" zu behandeln, also gleichermaßen mit Nahrung, Kleidung und Wohnung zu versehen seien. Nur eine Minderheit - wie der ägyptische Reformtheologe Muhammad Abduh (1849-1905) oder der zeitgenössische indische Theologe Ashgar Ali Engineer - vertritt die Auffassung, dass der Koran eigentlich die Einehe als Ideal proklamiere und die Polygamie nur eine "Notlösung" sei, ein Zugeständnis an die Umstände zu Muhammads Lebzeiten.

Quelle: Frauen und die Scharia von Christine Schirrmacher und Ursula Spuler-Stegemann, Seite 135-136.