Wie war das am Sonntag mit dem Kirchgang?

7 Antworten

Doch, grade im Mittelalter hatte quasi jedes Dorf eine Kirche. Ohne ist eine wirkliche Ansiedlung quasi nicht denkbar. Ich weiß nicht, wo du die Info her hast, dass das nicht so gewesen wäre.

Auch war es nicht “quasi-gesetzlich” vorgegeben, sondern die Menschen wollten auch in die Kirche gehen, da Religion eine wesentlich größere Rolle gespielt haben. Das hatte also wenig mit der Angst davor zu schaffen als “atheistisch” oder Hexe zu gelten, sondern kam aus einer eigenen Grundintention.

Bottom line - quasi alle Orte hatten Kirchen und somit stellte die Entfernung quasi nie ein Problem dar.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Winterkoenig  08.09.2024, 16:23

Nein, es gab viele kleinere Orte und Siedlungen ohne Kirche, heute ja auch noch. Nun ist Deutschland dicht besiedelt und war es damals auch schon. Aber schau mal nach Schweden.

Torrstark  08.09.2024, 16:49
@Winterkoenig

Du kannst nicht von heute auf damals schließen, das ist ein Trugschluss. Deinen Kommentar unter dem Post fande ich in großen Teilen sehr gut, aber das ist leider falsch. Die allermeisten Orte (in Deutschland) im Mittelalter hatten eine Kirche. In Schweden gab und gibt es kleine “Dörfer”, welche nur zu bestimmten hohen Feiertagen bewohnt wurden. Das ändert aber nichts daran, dass versucht wurde, dass möglichst jeder kleine Ort zumindest eine kleine Kirche hatte

apt2nowhere  08.09.2024, 16:58
@Winterkoenig

ganz kleine Orte ja - sie waren aber meistens in der Nähe von größeren Dörfern - solche kleinen Orte bezeichnete man z.B. Weiler - die Menschen damals waren lange Fußmärsche gewohnt - sie waren oft stundenlang unterwegs - Pferdewagen waren den Wohlhabenden vorbehalten - im Winter Schlitten

Winterkoenig  08.09.2024, 17:42
@apt2nowhere

Letztlich hatte ich das das auch so geschrieben. Viele Kirchen sind überdies erst spät gebaut worden. Vorher gab es dort oft eine Kapelle oder auch gar nichts.

Viele Kirchen, vor allem in kleinen Orten sind erst in den letzten 150 Jahren entstanden. Rund um unser Zentraldorf gibt es unzählige "Kirch(en)wege", die jeder nur unter diesem Namen kennt. Waldwege, Feldwege, über denen die Menschen über viele Jahrhunderte zur Pfarrkirche gelaufen sind.

Heute gibt es zwar viele Kirche, aber kaum mehr Personal um diese Kirchen "zu bespielen". Deswegen kommen die Leute wieder zu ihrer alten Pfarrkirche, natürlich mit dem Auto und nicht mehr zu Fuß durch den Wald.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Lange Wege zum Glauben

Du stellst eine interessante Frage zur Sachkultur und Alltagsleben sowie zur praktischen Ausübung des Glaubens. Dabei geht's du aber leider bereits von falschen Vorstellungen aus.

Nun hast du deine Frage zeitlich nicht eingeengt und könntest quasi die gesamte Vormoderne ab der Christianisierung in der Antike meinen. Ein etwas zu großer Zeitraum für eine schnelle Antwort. Daher halte ich mich eher allgemein und oberflächlich.

Es ist nicht das Gebäude, welches zählt, sondern das Wort. Das Gebäude des Glaubens ist die Gemeinde. Dazu steht z.B. in der Bibel:

Die Kirche Jesu Christi ist ein geistiges Haus, erbaut aus lebendigen Steinen, den Glaubenden. (1 Petr 2,5)

Es war den Menschen wichtig das Wort zu hören, also dem Pfarrer. Der Ort ist dabei völlig irrelevant.

Aber in früheren Zeiten war es ja quasi-gesetzlich, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen.

Absolut nein, weder im Mittelalter noch später. Natürlich wurde es z.B. in einer Dorfgemeinschaft bis zu einem gewissen Grad auch erwartet, gezwungen wurde niemand und es hatte auch keine Folgen, wenn man nicht zu den Gottesdiensten ging. Im Mittelalter dürfte es ohnehin nur extrem wenig bis gar keine Menschen gegeben haben, die z.B. Atheisten waren. Für sie war der Glaube nicht nur real, sondern auch im Alltag verbunden. Er erklärte die Welt, machte Hoffnung, er ordnete das Jahr, die Gesellschaft, beeinflusste das Recht, die Sitten und Kultur. Es gab ständig innerkirchliche Reformbewegungen und Strei um die richtige Auslegung. Die Kirche war Heterogenität und alles andere als ein in sich geschlossener Machtblock.

Niemand wollte in Verdacht geraten, atheistisch.... zu sein

Atheismus ist ein modernes Gedankenkonzept und gab es erst spät in der Neuzeit anfänglich mit der Aufklärung. Niemand hätte das jemandem vorgeworfen, das hätte sich niemand vorstellen können. Und wenn jemand seinen Glauben verloren hat, dann war er nicht zu bestrafen, sondern zu bedauern. Er hatte ja jeden Halt und Gottes Beistand verloren. Aber Atheismus als Geisteshaltung existierte nicht.

Niemand wollte in Verdacht geraten ... ketzerisch oder Hexer zu sein.

Du konntest praktisch nicht in den Verdacht der Ketzerei kommen. Sie war nur dann möglich, wenn du selbst gegen die Kirche predigst oder völlig andere Glaubenslehren verbreitest. Das Fernbleiben vom Gottesdienst wurde sicher als Nachlässigkeit oder vielleicht noch als Sünde (zweifelhaft) bezeichnet, aber nicht als Ketzerei.

Bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel in den Kriegen gegen die Katharrer (die selbst übrigens sehr fanatisch waren) wurden Menschen, welche Ketzern folgten, stets verziehen und wieder aufgenommen. So wurden z.B. protestantische Prediger exkommuniziert, einer starb wohl auch auf dem Scheiterhaufen, aber niemals deren Anhänger.

Der Hexenglaube hatte nichts mit der Anwesenheit im Gottesdienst zu tun, da spielten ganz andere Faktoren eine Rolle. Zudem wurden die meisten Menschen aus dem Volk der Hexerei bezichtigt, nicht von Klerikern. Außerdem bekämpfte die Kirche das gesamte Mittelalter den Hexenglauben als Aberglaube. Nur ganz zum Schluss und da auch nur vereinzelt begann im Mittelalter die Hexenverfolgung.

Wie kamen sie zu den Gottesdiensten?

Auch vor dem Auto und der Eisenbahn, reisten die Menschen. Auch zur Kirche gingen sie, wenn der Weg nicht zu weit war.

In der vorindustriellen Zeit und lange danach fuhren die Bauern z.B. auf ihren Kutschen und Karren zum nächstgrößeren Ort. Sie waren ohnehin häufig dort um Abgaben zu zahlen, den Markt zu besuchen, etc. Und eben auch für den Gottesdienst. Sie gingen auch zu Fuß, im Gegensatz zu uns waren sie es gewohnt sich zu bewegen. Noch Astrid Lindgrens Vater lief nach einem 12 Stundentag 20 km um seine Angebetete für einen Augenblick zu treffen.

Die Wege waren manchmal lang, aber das gehörte eben dazu und man hatte die Zeit. Trotzdem mussten Knechte dennoch zu Hause bleiben weil auch Sonntags das Vieh versorgt werden muss.

Die Pfarrer freuten sich dann, wenn es jemand geschafft hatte nach einigen Wochen mal wieder zu kommen. Dann wurde ihnen eben etwas mehr Zeit bei der Beichte gewidmet.

In sehr abgelegenen Dörfern kamen auch regelmäßig Pfarrer oder Mönche vorbei um zu predigen, Zeremonien abzuhalten oder schlicht für die Bauern Briefe zu verfassen.

Viele Pfarrer hatten mehrere Dörfer, die sie seelsorgerisch zu betreuen hatten. Das Dorf kam also nicht zu ihm, sondern er zu ihnen.

Die Messe konnte in einer Kapelle abgehalten werden oder unter freiem Himmel.

Burgen hatten eigene Kleriker, die dort auch als Sekretär für den Herren arbeiteten und sich um alles geistige dort und in den umliegenden Ortschaften kümmerte.

Wenn Menschen aus Krankheitsgründen nicht kommen konnten, dann besuchte sie der Pfarrer eben zu Hause und betete mit ihnen in deren Stube.

Denn es gilt das Wort, nicht das Gebäude.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig erhellen, wie dies in etwa abgelaufen war. Wenn du Nachfragen hast, melde dich ruhig.

Sie sind gelaufen.

Manche hatten auch einen Pferdewagen, noch reichere eine Kutsche.

So wurde es mir von meinen Altvorderen erzählt.


DocPsychopath 
Beitragsersteller
 08.09.2024, 17:21

Sind die Altvorderen noch selbst des Sonntags los gezogen?

Kristall08  08.09.2024, 18:22
@DocPsychopath

Aber hallo!

Ich hab's mir einfach gemacht und hab meistens neben der Kirche gewohnt. 😁

Niemand wollte in Verdacht geraten, atheistisch oder ketzerisch oder Hexer zu sein

Das spielte nur bei einem verschwindend kleinen Teil der Leute eine Rolle.

An Gott zu glauben war einfach die Regel. Die Leute wollten in die Kirche. Es war ihnen wichtig und gehörte zum traditionellen Leben.

In Biografien kann man nachlesen, dass die Menschen damals gerne bereit waren, für einen Kirchgang lange Distanzen zu Fuss zurückzulegen.

Die Liebe spielte natürlich auch eine Rolle. Man wusste, wenn man in jemandem verliebt war, dann würde diese Person sicher am Sonntag in der Kirche sein und mit etwas Glück konnte man sie auf dem Heimweg ein Stück begleiten.