Massenkräfte, Massenmomente 1er und 2er Ordnung?

1 Antwort

Vom Beitragsersteller als hilfreich ausgezeichnet
Oder es ist einfach kompliziert geschrieben, ich weiß auch nicht.

Genau das. Das ist fast immer von Fachleuten für Fachleute geschrieben und fast nie von Fachleuten für Laien.

und will verstehen wo der Unterschied ist

Gut, dann versuche ich mal die Unterschiede deutlicher herauszuarbeiten.

Fangen wir mit dem Unterschied zwischen Massenkräften und Massenmomenten an:

Massenkräfte sind die Beschleunigungs- bzw. Trägheitskräfte, die von linearen Bewegungen ausgehen. Beim Motor wären das der Kolben mit Kolbenringen und Kolbenbolzen und anteilig das Pleuel.

Massenmomente sind die Kräfte, die von rotierenden Massen ausgehen, die beschleunigt und gebremst werden. Das wäre die Kurbelwelle, Ausgleichswellen sowie anteilig das Pleuel. Das Pleuel vollführt ja sowohl lineare Bewgungen am Kolbenauge und rotierende Bewegung am Kurbelwellenauge. Das macht die Sache und insbesondere den Ausgleich auftretender Kräfte und Momente etwas kompliziert. Am Ende gelingt er nie vollständig. Der Laie denkt ja, die Kurbelwelle dreht immer mit derselben Winkelgeschwindigkeit. Das stimmt aber so nicht. Immer wenn die Zünding erfolgt, wirklt auf die Kurbelwelle eine beschleunigendes Moment und bei der Verdichtung ein bremsendes Moment. Das wird zwar durch Schwungrad und die Masse des Fahrzeugs zum großen Teil ausgeglichen, aber eben auch nicht vollständig. Vibrationen bleiben immer übrig. Ansonsten können die rotierenden Anteile des Pleuels sowie der Kurbelwelle durch gegengewichte zu annähernd 100 % kompensieren.

Nun zurück zu den Massenkräften, die die Hauptursache für Vibrationen sind und die Ordnung der Kräfte.

Die Massenkräfte 1. Ordnung werden direkt durch die schwingenden Massen, also den Kolben verursacht. Sie haben dieselber Frequenz wie die Masse, also entsprechend der Motordrehzahl. Im Idealfall wäre die Schwingung des Kolbens eine Sinuskurve mit Frquenz = Drehzahl. Am besten lassen sich diese Kräfte durch gegenläufige Kolben ausgleichen, weil dann gilt: hebt sich gegen hebt sich. Das wäre z.B. bei 2-Zylinder Gegenläufer oder beim Boxermotor der Fall.

Bei einem hörbaren Ton, der nur aus einer Sinusschwingung besteht, wäre die 1. Ordnung der Schwingung der Grundton.

Nun ist es aber so, dass der Kolben eben nicht sinusförmig hin- und herschwingt. Das kommt durch die Geometrie mit dem Pleuel zustand. Je kürzer das Pleuel ist, umso mehr weicht die Kolbenbewegung von der Sinusbewegung ab. Wenn das Pleuel 90° querab steht, ist der Kolben eben nicht auf halbem Weg, sondern schon etwas drunter. Diese Abweichung von der sauberen Sinusschwingung tritt pro Umdrehung zweimal auf, einmal bei der Abwärts- und dann nochmal bei der Aufwärtsbewegung. Diese durch das Pleuel erzeugte Abweichung von der Sinusschwingung erzeugt die Massenkräfte 2. Ordnung. Diese haben die doppelte Frequenz wie die Kolbenfrquenz bzw. die Motordrehzahl. Die resultierenden Massenkräfte kann man sich als Überlagerung von 2 Sinusschwingungen vorstellen:

Bild zum Beitrag

Blau wäre der Kolben und die Massenkraft 1. Ordnung, grün wäre die Massenkraft 2. Ordnung, die durch die Geometrie des Pleueltriebes verursacht wird. Da beides Sinusschwingungen sind, lassen sich diese Massenkräfte zu mindestens 50% durch Ausgleichswellen wenigstens zum Teil kompensieren, wobei die Ausgleichswelle für die Massenkräfte 2. Ordnung doppelt so schnell rotieren muss wie die Kurbelwelle.

Um auf Töne zurückzukommen: die Sinusschwingung 2. Ordnung wäre bei Tönen der erste Oberton, der ja auch die doppelte Frequenz hat wie der Grundton.

Da könnte ich jetzt noch stundenlang auf verschiedene andere Details der diversen Bauarten eingehen, aber ich will auch keine Romane tippen. Frag einfach nach, was noch unklar ist. Ich hoffe aber, wenigstens die Massenkräfte und ihre Ordnung wird etwas klarer.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Motorentechnik im Hauptfach studiert
 - (Physik, Mechanik, Zylinder)

Sonny811 
Beitragsersteller
 31.07.2024, 14:55

Vielen vielen Dank dir. Jetzt fang ich an das alles zu verstehen langsam. Endlich kommt der Überblick. Da muss ich nur üben bisschen an den Tabellen und mir das einprägen. Je ausführlicher desto besser. Ich lese eh ein ganzes Buch darüber, von daher kannst du auch viel schreiben. Naja nur wenn du Zeit hast, was ist mit den Massenmomenten 1er und 2er Ordnung? Was bedeuten die eigentlich genau, oder wie entstehen die?

Hamburger02  31.07.2024, 19:48
@Sonny811
Da muss ich nur üben bisschen an den Tabellen und mir das einprägen.

Wenn man das verstanden hat, braucht man gar keine Tabellen mehr zu lernen. Dann kann man sich das durch Überlegen selber herleiten. Wenn sich das Auf-und Ab von jeweils zwei Kolben gegenseitig aufheben, hat man keine Massenkräfte 1. Ordnung. Am besten lässt sich das am Boxermotor verstehen, da jeweils zwei gegenüberliegende Kolben sich zusammen nach innen und nach Außen bewegen. Der eine zieht nach linkd, der andere nach rechts.

Ähnlich ist es beim 2-Zylinder Gegenläufer. Wenn ein Kolben nach oben beschleunigt, beschleunigt der andere nach unten und die dadurch entstehenden Beschleunigungskräfte heben sich gegenseitig auf. Man hat in der Summe der beiden Kolben dann keine direkten Beschleunigungskräfte mehr. Trotzdem nimmt man Gegenläufermotoren heute kaum noch. Das leigt daran, dass sich zwar das Auf- und Ab der beiden Kolben gegenseitig aufhebt, aber leider nicht an derselben Stelle der Kurbelwelle. Das führt dann dazu, dass der Motor von vorne gesehen mal nach links, mal nach rechts kippen will. Der wackelt stark hin und her und das kann man nicht kompensieren. Deswegen nimmt man dann doch lieber Gleichläufer. Dieses hin- und herkippen des Motors, da die Massenkräfte an verschiedenen Punkten der Kurbelwelle angreifen, sind die Massenmomente.

Die Massenkräfte 2. Ordnung lassen sich bei 2-Zylindermotoren nie intern ausgleichen. Da braucht man immer Ausgleichswellen. Bei Mehrzylindermotoren, also 3Zyl, 6Zyl und diversen V.Motoren lassen sich die Kolöben so steuern (durch die Kröpfungen der Kurbelwelle), dass sich die Massenkräfte 2. Ordnung gegenseitig aufheben.