Wie werden "Klasse", "Unterklasse", "Überordnung" usw. bei Lebewesen bestimmt?

2 Antworten

Um eine Verwandtschaftsgruppe (Taxon, Plural: Taxa) zu begründen, muss man nach abgeleiteten Merkmalen (Apomorphien) suchen. Apomorphien sind Merkmale, die gegenüber den ursprünglichen Merkmalen (Plesiomorphien) evolutive Neuerungen sind. Genauer: man sucht nach gemeinsamen abgeleiteten Merkmalen (Synapomorphien). Das sind Merkmale, die für ein Taxon charakteristisch sind und die nur in diesem Taxon vorkommen, es somit von anderen Taxa unterscheidbar und als natürliche Verwandtschaftseinheit erkennbar machen.

Eine Synapomorphie der Raubtiere (Carnivora) ist z. B. der Brechscherenapparat. Diese Brechschere wird gebildet aus jeweils dem letzten (dem vierten) Vorbackenzahn (Prämolar) des Ober- und dem ersten Backenzahn (Molar) des Unterkiefers. Man nennt sie deshalb auch P⁴M₁Brechschere, die beteiligten Zähne werden auch Reißzähne genannt. Ausnahmslos alle Raubtiere der Welt, ob Katze, Hund, Marder, Robbe oder Bär, haben dieses Brechscherengebiss, wenngleich die Brechschere bei den einzelnen Arten unterschiedlich stark entwickelt sein kann. Umgekehrt gibt es kein Tier mit einer Brechschere, das kein Raubtier wäre. Zwar hatten auch einige ausgestorbene Säugetiergruppen, z. B. die Creodonta, ein Brechscherengebiss, das war aber anders aufgebaut, d. h. es waren andere Zähne daran beteiligt.

Die Suche nach Synapomorphien begründet auch höher oder tiefer liegende Ebenen von Verwandtschaftsgruppen. Die Säugetiere (Mammalia) als den Raubtieren übergeordnetes Taxon kennzeichnen z. B. folgende Apomorphien: ein sekundäres Kiefergelenk und drei Gehörknochen, ein Fell, Milchdrüsen, kernlose Erythrocyten (rote Blutzellen), von den ursprünglich paarigen Aortenbögen bleibt nur der linke erhalten. Auf tieferer Ebene kennzeichnet die Katzen (Felidae) u. a. ein verkürzter Gesichtsschädel, zurückziehbare Krallen, vorn je Pfote fünf und hinten vier Zehen und verhornte Papillen auf der Zunge (Raspelzunge). Auf diese Weise entsteht ein System abgestufter Ähnlichkeiten. Die Merkmale sind also nicht zufällig verteilt, sondern hierarchisch geordnet und dieses System lässt sich ganz zwanglos in einen Stammbaum des Lebens unschreiben.

Apomorphien können morphologische, aber auch genetische Merkmale sein. Letzteres hat in den letzten Jahrzehnten bei der Erstellung phylogenetischer Stammbäume in Form von DNA-Sequenzvergleichen stark an Bedeutung gewonnen. DNA-Sequenzen haben gegenüber der Morphologie die Vorteile, dass sie aus sehr vielen Einzelmerkmalen bestehen (ein einzelnes Gen besteht schon aus hunderten Basenpaaren und jedes davon ist ein Einzelnerkmal) und dass die Merkmale eindeutig und somit leicht analysierbar sind (die DNA besteht nur aus vier Nukleotiden: A, G, C und T).

Übrigens: Taxa erhalten in der modernen Systematik mit Ausnahme der Gattung und der Art keine Kategorienbezeichnung mehr. Das hängt damit zusammen, dass nur die Art überhaupt definiert ist und dass Kategorien keineswegs auf gleicher Hoerarchieebene stehen. Die "Klasse" der Säuger ist z. B. nicht dasselbe wie die "Klasse" der Vögel (Aves). Da letztere ja nichts anderes als die nicht ausgestorbenen Vertreter des Dinosaurier-Stammbaums sind, stellen die Vögel eine Teilgruppe der Sauropsida dar. Ihre nächsten Verwandten sind die Krokodile, die traditionell als "Ordnung" Crocodylia geführt werden. Die "Klasse" der Vögel müsste dementsprechend den Rang einer "Ordnung" innerhalb der Sauropsiden einnehmen. Wirklich auf vergleichbarer Stufe stehen nur Schwestergruppen, d. h. unmittelbar miteinander verwandte Taxa. Daher spricht man heute nur noch allgemein von Taxa, ohne Kategorien wie Familie, Klasse, Ordnung usw.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Neben DNA-Analysen werden (und wurden v. a.) Merkmalanalogien herangezogen ...

Und natürlich sind Säugetiere untereinander näher verwandt als z. B. mit Nashornkäfern oder so - alles andere wäre schon seeehr konstruiert ...