Was ist der Unterschied zu Koevolution Räuber-Beute Beziehung und Koevolution Parasitismus?

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Grundsätzlich folgen sowohl Wirt-Parasit- als auch Räuber-Beute-Beziehungen den gleichen co-evolutiven "Spielregeln". Der einzige Unterschied, der mir hier spontan einfällt, besteht darin, dass Parasiten ihren Wirt häufig nicht töten, da sie für ihr eigenes Überleben auf das Überleben des Wirts angewiesen sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele parasitäre Beziehungen, bei denen der Wirt stirbt - solche Parasiten werden oftmals in Abgrenzung zu "echten" (d. h. grundsätzlich nicht tödlichen) Parasiten als Parasitoide (= Parasitenähnliche) bezeichnet. Diese Trennung halte ich aber für problematisch, weil es fließende Übergänge gibt.

Sowohl die Wirt/Parasit- als auch die Räuber-Beute-Co-Evolution wird häufig als so genanntes arms races charakterisiert, als evolutionäres Wettrüsten. Oft wird der Prozess fälschlicherweise so dargestellt, dass auf eine Anpassung von Art A eine Gegenanpassung von Art B erfolgt, welche wiederum durch eine Gegenanpassung von A beantwortet wird usw. In Wirklichkeit passen sich beide Parteien in dieser Wechelbeziehung aber gleichzeitig an.
Man kann sich die Co-Evolution deshalb eher wie ein Wettrennen vorstellen, bei dem beide Parteien ständig aktiv sein müssen. Bliebe eine der beiden Parteien stehen, würde die andere sie überholen und hätte das evolutionäre Wettrennen "gewonnen". Solange aber die eine Partei mit der anderen Schritt halten kann, wird sich kein stabiler Gleichgewichtszustand einstellen - es entsteht viel eher ein dynamischer immer fortlaufender Entwicklungsprozess, den man als Rote-Königin-Dynamik bezeichnet. Benannt ist er nach der Figur der Herzkönigin in Lewis Carolls Buchklassiker Alice hinter den Spiegeln. In diesem sagt die Rote Königin aus dem Wunderland zu Alice sinngemäß, die Erde in ihrem Reich drehe sich so schnell, dass man so schnell rennen müsse wie man nur könne, um auf der Stelle treten zu bleiben. Diese Metapher beschreibt einerseits, dass bei co-evolutiven Prozessen einerseits kein Stillstand eintreten darf. Gleichzeitig charakterisiert sie aber auch, dass der jeweilige status quo zwischen den beiden Parteien aufrecht erhalten bleibt. Solange beide im evolutionären Wettrennen mithalten können, wird keine Partei die andere überholen - obwohl beide also sich ständig anpassen, bleiben sie doch nur auf der Stelle treten.

Das ist übrigens auch der Grund, weshalb es meiner Meinung nach völlig falsch ist, anzunehmen, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-II in Richtung eines harmloseren Virus entwickeln wird, denn auch die Co-Evolution zwischen Pathogenen und Wirten ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Parasit-Wirt-Co-Evolution, die einer Red Queen Dynamic folgt.
Wäre es tatsächlich der Fall, dass Krankheitserreger sich immer stärker hin zu kommensalen Begleitern ihres Wirtes entwickeln würden, dann hätte die Sterblichkeitsrate so bekannter Erreger wie beispielsweise des Pestbakteriums nach und nach abnehmen müssen. Das ist aber nicht der Fall - wenn wir heute keine Antibiotika besäßen, wäre die Pest heute noch genauso tödlich wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit.
Auch die Entwicklung nosokomialer Keime (gegen Antibiotika resistente Erreger) zeigt, dass es in co-evolutiven Parasit-Wirt-Prozessen keineswegs einen Trend dahin gibt, dass der Parasit sich in Richtung eines harmlosen kommensalen Stadiums bewegt.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig